Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Notdienst. Verpflichtung des Vertragsarztes zur Teilnahme. Organisation des ärztlichen Notfalldienstes umfasst auch den Fahrdienst. Gestaltungsfreiheit der KÄV. Verfassungsmäßigkeit. Begründung der Anordnung der Vollziehung eines Heranziehungsbescheides zum ärztlichen Notfalldienst
Orientierungssatz
1. Vertragsärzte sind verpflichtet, am ärztlichen Notfalldienst teilzunehmen und diesen ggf in einer Notfallpraxis zu versehen und dort anwesend zu sein (vgl BSG vom 11.5.2011 - B 6 KA 23/10 R = SozR 4-2500 § 75 Nr 11).
2. Die Organisation des ärztlichen Notfalldienstes kann sich nicht nur auf Notfalldienstpraxen beschränken, sondern umfasst auch die Organisation der Hausbesuche im Notfall, mithin den Fahrdienst und damit auch die Verpflichtung des Notfalldienstarztes, daran teilzunehmen.
3. Die nähere Ausgestaltung des Not- bzw Bereitschaftsdienstes (im Folgenden: Bereitschaftsdienst) fällt in die Zuständigkeit der einzelnen KÄV. Dieser kommt insoweit eine weite Gestaltungsfreiheit zu; insbesondere obliegt es ihrer Entscheidung, ob sie einen flächendeckenden einheitlichen Bereitschaftsdienst organisiert oder neben einem hausärztlichen auch verschiedene fachärztliche Bereitschaftsdienste einrichtet. Die KÄV muss diese Entscheidung überdies nicht für ihren gesamten Bezirk einheitlich treffen, sondern ist bundesrechtlich nicht gehindert, in städtischen Regionen getrennte hausärztliche und fachärztliche Bereitschaftsdienste anzubieten und im ländlichen Raum nur einen einheitlichen Bereitschaftsdienst vorzuhalten.
4. Der in der Notfalldienstverpflichtung liegende Eingriff in die Berufsfreiheit ist auch dann hinzunehmen, wenn er für den einzelnen Vertragsarzt besondere, über das übliche Maß hinausgehende Unannehmlichkeiten und Erschwernisse mit sich bringt. Erst beim Vorliegen schwerwiegender Gründe kann die Grenze der Zumutbarkeit überschritten und eine Befreiung des Betroffenen geboten sein (vgl BSG vom 18.10.1995 - 6 RKa 66/94).
5. Die Anordnung der Vollziehung eines Heranziehungsbescheides zum ärztlichen Notfalldienst ist hinreichend begründet, wenn die KÄV darlegt, dass das eingeschränkte Versorgungsangebot im Notfalldienst nur gewährleistet werden kann, wenn "Planbarkeit, Verlässlichkeit und Effektivität der getroffenen organisatorischen Entscheidungen strikt eingehalten werden".
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 29.04.2011 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Heranziehungsbescheid der Antragsgegnerin zum ärztlichen Notfalldienst.
Die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Antragstellerin betreibt eine gynäkologische Praxis in Q.
Mit Bescheid vom 17.12.2010 zog die Bezirksstelle Q der Antragsgegnerin die Antragstellerin unter Anordnung der sofortigen Vollziehung zum allgemeinen ärztlichen Notfalldienst für die Zeit vom 01.02.2011 bis zum 31.01.2012 heran. Ausweislich der Anlage zu diesem Bescheid ist die Antragstellerin für fünf Sitzdienste in einer Notfallpraxis (09.02.2011, 01.05.2011, 06.06.2011, 28.10.2011, 17.12.2011) und fünf Fahrdienste (06.03.2011, 13.04.2011, 18.06.2011, 01.01.2012 26.01.2012) eingeteilt worden.
Mit Schreiben vom 14.02.2011 erhob die Antragstellerin Widerspruch; dieser ist bislang nicht beschieden.
Unter dem 03.03.2011 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht (SG) Dortmund um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Sie hat vorgetragen:
Der Bescheid vom 17.12.2010 sei offensichtlich rechtswidrig. Die gebotene Interessenabwägung müsse zu ihren Gunsten ausfallen. Sie werde im Vergleich zu anderen niedergelassenen Ärzten über Gebühr zum Notfalldienst herangezogen. Sie bestreite nicht, dem Grunde nach zum Notfalldienst verpflichtet zu sein, habe indes einen Anspruch auf gleichmäßige Diensteinteilung. Dem genüge der angefochtene Bescheid nicht. Sie sei für 80 Stunden Dienst und damit im Vergleich zu anderen Ärzten mit bis zu 17 Stunden zusätzlichem Dienst eingeteilt worden. Zudem hätte berücksichtigt werden müssen, dass sie als gynäkologische Onkologin ohnehin verpflichtet sei, eine 24-stündige Rufbereitschaft für ihre Patienten sicherzustellen.
Die Antragstellerin hat beantragt,
die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 17.12.2010 wiederherzustellen.
Die Antragsgegnerin hat beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig. Die Antragstellerin verwechsle den Begriff der "gleichmäßigen Einteilung" zum Notfalldienst mit einer "identischen Belastung" durch den Notfalldienst. Die Forderung nach einer identischen Notfalldienstbelastung sei unrealistisch. In ihrem Zuständigkeitsbereich seien ca. 9.550 Privat- und Vertragsärzte in 32 Notfalldienstbezirken zur Teilnahme am Notfalldienst verpflichtet. In allen Notfalldienst...