Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. partielle Prozessunfähigkeit. Einschränkung der freien Willensbildung nur bezüglich bestimmter Prozessbereiche. Feststellung einer partiellen Prozessunfähigkeit. Bestellung eines besonderen Vertreters
Orientierungssatz
1. Bestimmte Krankheitsbilder können auch zu einer sog partiellen Prozessunfähigkeit führen, bei der die freie Willensbildung nur bezüglich bestimmter Prozessbereiche eingeschränkt ist (vgl hierzu näher etwa BSG vom 6.10.2022 - B 8 SO 2/22 B = juris RdNr 12 ).
2. Eine partielle Prozessunfähigkeit kann vom Gericht nur ausnahmsweise bei eindeutigen Symptomen, die auch einem medizinisch nicht vorgebildeten Laien eindeutige Schlüsse gestatten, ohne Einschaltung eines Sachverständigen festgestellt werden.
3. Zur Feststellung einer partiellen Prozessunfähigkeit und zur Bestellung eines besonderen Vertreters bei einem im Rechtsverkehr querulatorisch auftretenden Kläger.
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Bestellung von Rechtsanwältin Y. als besondere Vertreterin in dem Beschluss vom 09.03.2020 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Der Kläger wendet sich gegen die Bestellung einer besonderen Vertreterin durch das Sozialgericht (SG) O. in einem erstinstanzlichen Klageverfahren.
Er bezieht inzwischen Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII), führt vor dem SG aber noch zahlreiche Verfahren, in denen es im Wesentlichen um die Gewährung verschiedener Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) aber auch um andere Fragen, wie die Feststellung der Unpfändbarkeit, Ansprüche auf Auskunft oder Datenlöschung, geht. Im Februar 2020 waren noch 28 laufende Hauptsache- und Eilverfahren bei dem SG anhängig, die der Kläger dort seit 2015 anhängig gemacht hatte. Die Verfahren waren u. a. gekennzeichnet von sich regelmäßig wiederholenden Befangenheitsanträgen, Anträgen auf Akteneinsicht sowie z. T. kaum lesbaren, inhaltlich oft zusammenhangslosen und unverständlichen Schriftsätzen. In erledigten Sachen wurden bei dem SG (oftmals wiederholt) Anhörungsrügen und beim Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen Beschwerden erhoben. In den Beschwerdeverfahren zeigte sich dasselbe Prozessverhalten des Klägers wie in den erstinstanzlichen Verfahren. In der Zeit von Januar 2015 bis August 2020 wurden allein im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende bei den Senaten des LSG Nordrhein-Westfalen 188 Aktenzeichen für Verfahren des Klägers vergeben.
Bereits mit Beschluss vom 27.11.2017 - wie auch in Folgebeschlüssen in anderen Verfahren des Klägers - bestellte das LSG Nordrhein-Westfalen in dem Verfahren L 2 AS 1973/16 B ER Frau Rechtsanwältin Y. nach § 72 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als besondere Vertreterin für den Kläger.
Nach entsprechender Anhörung bestellte das SG mit Beschluss vom 26.02.2020 in dem hier zu Grunde liegenden Klageverfahren Frau Rechtsanwältin Y. ebenfalls als besondere Vertreterin nach § 72 Abs. 1 SGG. Der Kläger sei nach Auffassung der Kammer in diesem Verfahren aufgrund Querulanz partiell prozessunfähig. Grundsätzlich seien die nach bürgerlichem Recht Geschäftsfähigen prozessfähig. Die Prozessfähigkeit fehle mithin demjenigen, der sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befinde, sofern der Zustand nicht seiner Natur nach ein vorübergehender sei ( § 104 Nr. 2 Bürgerliches Gesetzbuch[BGB]). Nach einhelliger Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum gebe es nach § 104 Nr. 2 BGB eine partielle Geschäftsunfähigkeit und damit nach § 72 Abs. 1 SGG auch eine partielle, nur für bestimmte Bereiche zu bejahende Prozessunfähigkeit, wie z. B. bei krankhafter Querulanz. Die Kammer sei der Überzeugung, dass beim Kläger eine solche krankhafte Querulanz vorliege. Für eine über eine gesteigerte rechthaberische - sich (noch) im Rahmen der Gesundheit haltende - Verbohrtheit hinausgehende krankhafte Uneinsichtigkeit und Querulanz des Klägers spreche die Vielzahl der von ihm in den letzten Jahren angestrengten gerichtlichen Verfahren und die Art und Weise der Prozessführung. Hierbei sei insbesondere auf diverse Eilverfahren, Befangenheitsanträge gegen den Kammervorsitzenden, Gehörsrügen sowie Hauptsacheverfahren zu verweisen, die sämtlich offenkundig ohne Erfolg bzw. bereits unzulässig seien. Auch spreche die Art und Weise der Prozessführung (z. B. regelmäßige sich inhaltlich wiederholende Richterablehnungen und Anträge auf Akteneinsicht, kaum lesbare Schriftsätze, die inhaltlich oft zusammenhangslos und unverständlich seien) für eine querulatorische und somit krankhafte Störung des Klägers. Nach Auffassung des Gerichts sei klar, dass der Kläger die Prozesse aus Freude und der damit verbundenen Möglichkeit der Selbstdarstellung und nicht aus ernsthafter Verfolgung der materiellen Belange wie etwa dem Erhalt weiterer Leistungen nach dem SGB II verfolge. Der Zweck des sozialgerichtli...