Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewilligung von Grundsicherungsleistungen für einen rumänischen Staatsbürger durch einstweiligen Rechtsschutz
Orientierungssatz
1. Voraussetzung für die Bewilligung von Grundsicherungsleistungen ist zunächst, dass der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt i. S. des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB 2 in Deutschland hat.
2. Beim Ausländer ist dies nur dann der Fall, wenn er über einen Aufenthaltstitel verfügt, der den persönlichen Aufenthalt zulässt. Für den Bereich des SGB 2 bedeutet dies, dass prognostisch auf Dauer ein gesicherter Aufenthalt vorliegt und ein Erreichen des Regelungsziels, nämlich Beseitigung von Bedürftigkeit durch Aufnahme einer Tätigkeit mit existenzsicherndem Ertrag, möglich erscheint.
3. Ein nicht erwerbstätiger Unionsbürger i. S. von § 2 Abs. 2 Nr. 5 FreizügG/EU genießt dann ein Aufenthaltsrecht, wenn er über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügt.
4. Rumänien ist zum 1. 1. 2007 der Europäischen Union beigetreten. Die Bundesregierung hat zunächst für den Zeitraum bis zum 31. 12. 2011 von der Möglichkeit arbeitsmarktbeschränkender Maßnahmen Gebrauch gemacht. Rumänische Staatsangehörige bedürfen bis dahin einer Arbeitserlaubnis-EU/Arbeitsberechtigung-EU, die nur unter den einschränkenden Voraussetzungen von § 39 Abs. 1 S. 1 AufenthG, d. h. in Abhängigkeit bevorrechtigter Arbeitnehmer erteilt werden kann.
5. Die Prüfung der Genehmigungsfähigkeit ist am Maßstab des Arbeitsgenehmigungsrechts vorzunehmen. Hierzu muss eine konkret-realistische Aussicht auf die Erteilung einer Arbeitsgenehmigung im Einzelfall bestehen.
6. Ein rumänischer Staatsangehöriger, dessen Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, wird grundsätzlich vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 SGB 2 erfasst. Die Vereinbarkeit dieser Vorschrift mit dem europarechtlichen Diskriminierungsverbot ist umstritten. Dies hat zur Folge, dass Bürgern der neuen EU-Staaten nach Ablauf der für die jeweiligen Staaten einschränkenden Übergangsregelungen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes Grundsicherungsleistungen nach dem SGB 2 zu gewähren sind.
7. Dies gilt aber nicht für diejenigen ausländischen Unionsbürger, die nicht uneingeschränkt freizügigkeitsberechtigt und ohne vorherige Genehmigung nicht zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet berechtigt sind. Auch unter Beachtung des allgemeinen Diskriminierungsverbotes nach EGV und AEUV besteht ein wichtiger Grund, diese von der Bewilligung von Grundsicherungsleistungen auszuschließen.
Tenor
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 28.02.2011 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Den Antragstellern wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt T, H, beigeordnet.
Gründe
Die zusammenlebenden, beide 1978 geborenen Antragsteller zu 1) und 2) sind nach der vorgelegten Geburtsurkunde Eltern des 1997 geborenen Antragstellers zu 3), alle drei Antragsteller haben die rumänische Staatsbürgerschaft.
Nach im Verfahren eingeholten Auszügen aus dem Ausländerzentralregister reiste der Antragsteller zu 1) erstmals am 30.09.2008 in die Bundesrepublik ein, wurde am 12.02.2009 wegen Fortzuges an einen unbekannten Ort von Amts wegen abgemeldet, meldete sich erneut am 05.03.2009 in N an.
Nach der gleichen Auskunftsquelle reiste die Antragstellerin zu 2) erstmals am 17.07.1991 in das Bundesgebiet ein und beantragte die Anerkennung als Asylberechtigte. Dieser Antrag wurde am 16.10.1992 abgelehnt (Az.: 000, BaFl Nürnberg). Am 15.10.1992 verzog sie an einen nicht erfassten Ort und meldete sich sodann in N am 05.03.2009 und in H am 13.03.2009 zusammen mit dem Antragsteller zu 3) an.
Nach den beigezogenen Akten des Ausländeramtes der Stadt H wurden den Antragstellern zu 1) und 2) Freizügigkeitsbescheinigungen gem. § 5 des Freizügigkeitsgesetzes/EU am 19.03.2009, gültig bis zum 19.06.2009, ausgestellt mit der jeweiligen Eintragung, wonach der Inhaber der Bescheinigung zur Aufnahme einer unselbstständigen arbeitsgenehmigungspflichtigen Erwerbstätigkeit einer Arbeitserlaubnis-EU oder Arbeitsberechtigung-EU bedürfe.
Die Rechtsvorgängerin des Antragsgegners (im Folgenden einheitlich: Antragsgegner) bewilligte den Antragstellern Grundsicherungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II) zunächst bis zum 31.10.2010 und hob den Bewilligungsbescheid mit Bescheid vom 19.07.2010 ab dem 01.08.2010 auf, nachdem sie seitens der Ausländerbehörde Kenntnis davon erhalten hatte, dass die Antragsteller keinen Aufenthaltstitel besitzen und die befristeten Freizügigkeitsbescheinigungen ausgelaufen waren. Dem gegen die Aufhebungsentscheidung vom 19.07.2010 eingelegten Widerspruch half der Antragsgegner ab, hob den Aufhebungsbescheid vom 19.07.2010 mit Bescheid vom 18.08.2010 auf und bewilligte mit Bescheid gleichen Datums (erneut) Leistungen nach d...