Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweiliger Rechtsschutz. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Anspruch auf vorläufige Leistungen bei anhängiger Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung beim BSG. Leistungsausschluss für Unionsbürger bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. subjektiv-öffentliches Recht des Unionsbürgers auf pflichtgemäße Ermessensausübung
Orientierungssatz
1. Auch nach der Entscheidung des EuGH vom 15.9.2015 - C 67/14 = ABl EU 2015, Nr C 371, 8 = NZS 2015, 784 behalten bei der Bewilligung von Leistungen des SGB 2 für Unionsbürger die mitgliedstaatlichen Grundrechte trotz der Einschlägigkeit des Gemeinschaftsrechts ihre eigenständige Funktion. Auf der Grundlage der Rechtsprechung des BVerfG (vgl BVerfG vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10 ua) bestehen berechtigte Bedenken, ob die Vorschrift des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 in der geltenden Form verfassungsgemäß ist.
2. Der Anspruch auf vorläufige Leistungen nach § 328 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB 3 bei Erlass eines Ablehnungsbescheides zu Leistungen des SGB 2 entfällt erst dann, wenn kein entsprechendes Verfahren beim BSG mehr anhängig ist. Insoweit ist ua das beim BSG anhängige Verfahren B 14 AS 15/15 R entscheidungserheblich (vgl jetzt BSG vom 20.1.2016 - B 14 AS 15/15 R). § 328 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB 3 ermächtigt dazu, eine Zwischenregelung zu treffen, bis die Rechtsfragen, die zu Grund, Höhe und Dauer des Anspruchs entscheidungserheblich sein müssen, geklärt sind.
3. Damit ist der Leistungsträger zum Erlass einer Zwischenregelung ermächtigt, dem ein subjektiv-öffentliches Recht des Unionsbürgers auf pflichtgemäße Ermessensausübung iS von § 39 Abs 1 S 2 SGB 1 gegenübersteht.
Normenkette
SGB III § 328 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; SGB II § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, § 40 Abs. 2 Nr. 1; SGB I § 39 Abs. 1 S. 2; SGG § 86b Abs. 2 S. 2; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 07.08.2015 geändert und dem Antragsteller Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin T, L, bewilligt.
Dem Antragsteller wird für das ER-Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin T, L, beigeordnet.
Der Antragsgegner trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Antragsstellers im ER-Beschwerdeverfahren.
Kosten sind im PKH-Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten stritten im gerichtlichen Eilverfahren über die Bewilligung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit ab 11.06.2015.
Der 1986 geborene Antragsteller, seine 2007 und 2013 geborenen Kinder und seine Partnerin, die er im Verlauf des Beschwerdeverfahrens am 31.07.2015 geheiratet hat, sind bulgarische Staatsbürger. Er lebt nach eigenen Angaben seit ca. 2011 in Deutschland. Vom 01.04.2014 bis zum 30.09.2014 war er selbständig als Kurierdienstfahrer tätig. Seine Ehefrau übt seit Oktober 2014 eine geringfügige Beschäftigung aus. Für die Zeit von Oktober 2014 bis 31.03.2015 bezogen der Antragsteller und die Mitglieder seiner Familie Leistungen nach dem SGB II. Auf den Weiterbewilligungsantrag vom 31.03.2015 bewilligte der Antragsgegner Leistungen für die Ehefrau und die Kinder des Antragstellers und lehnte die Gewährung von Leistungen für den Antragsteller für die Zeit ab 01.05.2015 mit der Begründung ab, er sei nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen. Nach persönlicher Vorsprache des Antragstellers beim Antragsgegner beantragte die Prozessbevollmächtigte mit Schreiben vom 03.06.2015 erneut ausdrücklich Leistungen auch für den Antragssteller. Nach telefonischer Rücksprache der Prozessbevollmächtigten mit dem Antragsgegner wurde vereinbart, dass zunächst nicht über den Antrag entschieden werden solle, da die Weisungslage für den Antragsgegner eindeutig sei. Es solle zunächst ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren durchgeführt werden.
Am 11.06.2015 hat der Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung und die Gewährung von Prozesskostenhilfe beantragt.
Mit Beschluss vom 07.08.2015 hat das Sozialgericht Düsseldorf den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Zur Begründung hat es u. a. ausgeführt, eine hinreichende Erfolgsaussicht des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bestehe nicht. Zur Begründung hat sich das Sozialgericht auf seine Ausführungen zum einstweiligen Rechtsschutzverfahren bezogen.
Gegen den Beschluss hat der Antragsteller am 20.08.2015 Beschwerde erhoben.
Im gerichtlichen Eilverfahren hat der Antragsgegner - nachdem der Antragsteller seine Partnerin geheiratet hat - Leistungen für die Zeit ab 31.07.2015 rückwirkend bewilligt (Bescheid vom 25.08.2015). Daraufhin hat der Antragsteller das ER-Verfahren für erledigt erklärt und beantragt, dem Antragsgegner die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen. Diese haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen.
II.
Die zulässige Beschwe...