Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an den Anordnungsgrund zur Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung durch einstweiligen Rechtsschutz
Orientierungssatz
1. Bestehen restliche Zweifel an der Hilfebedürftigkeit des Antragstellers zu Leistungen der Grundsicherung, so bleibt deren Klärung dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. Wegen des existenzsichernden Charakters der Leistungen des SGB 2 bei nicht möglicher abschließender Klärung der Hilfebedürftigkeit ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung unter Berücksichtigung der gebotenen Folgenabwägung gerechtfertigt.
2. Für das Vorliegen eines Anordnungsgrundes im einstweiligen Rechtsschutzverfahren bezüglich der Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung ist erforderlich, dass Wohnungs- und Obdachlosigkeit droht. Das ist bei Rechtshängigkeit einer Räumungsklage der Fall.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 27.01.2012 geändert. Der Antragsgegner wird verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig für den Zeitraum vom 05.01.2012 bis zum 30.06.2012 die Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe von 400,00 EUR monatlich und den Regelbedarf in Höhe von 70 % zu gewähren. Die Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden an den Vermieter oder einen anderen Empfangsberechtigten gezahlt. Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen. Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren ab Antragstellung Prozesskostenhilfe gewährt. Der Antragsgegner trägt 3/4 der außergerichtlichen Kosten des Antragstellers dem Grunde nach.
Gründe
Die zulässige Beschwerde des Antragstellers ist im tenorierten Umfang begründet.
Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufigen Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, Az.: 1 BvR 569/05, BVerfGK 5, 237 = NVwZ 2005, Seite 927).
Der Antragsteller hat nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung vorläufig einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuch (SGB II). Diesbezüglich hat der Antragsteller sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund hinreichend glaubhaft gemacht.
Der Antragsteller erfüllt die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 Nrn. 1- 4 SGB II. Denn er hat das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze noch nicht erreicht (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II). Er ist auch erwerbsfähig gemäß § 7 Abs.1 Nr. 2 SGB II und hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II). Gemäß § 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, sind auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen (§ 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II. Die Bedürftigkeit des Antragstellers ist nach der hier gebotenen summarischen Prüfung glaubhaft gemacht.
Der Senat verkennt dabei nicht, dass noch Zweifel an der Bedürftigkeit des Antragstellers bestehen, da die wirtschaftlichen Verhältnisse nicht abschließend geklärt sind, das Vorbringen des Antragsstellers nicht widerspruchsfrei und der Verbrauch der im Oktober 2011 noch vorhandenen erheblichen Summe im Zeitraum bis Januar 2012 zur Schuldentilgung und zum Lebensunterhalt nicht nachgewiesen ist (z.B. durch eidesstattliche Versicherung). Zur Überzeugung des Senats müssen die noch nicht ausgeräumten Zweifel hinsichtlich der Hilfebedürftigkeit des Antragstellers der Klärung in einem Klageverfahren vorbehalten bleiben. Unter Berücksichtigung des existenzsichernden Charakters der Leistungen nach dem SGB II und der nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei nicht möglicher abschließender Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Verfahren des einstweiligen Rechts...