Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Vereinbarkeit eines Honorarverteilungsmaßstabs mit höherrangigem Recht. formelle Voraussetzungen der Abrechnung durch ein Medizinisches Versorgungszentrum. Erfordernis einer Unterschrift durch den ärztlichen Leiter gemäß Honorarverteilungsmaßstab. Eingriff in Berufsausübungsfreiheit. gestaffeltes und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip genügendes System von Rechtsfolgen bei nicht fristgemäßer Vorlage einer ordnungsgemäßen Abrechnung. vollständiger Honorarverlust
Orientierungssatz
1. Die Vorschrift eines Honorarverteilungsmaßstabs, dass die für die Abrechnung eines Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) erforderlichen Erklärungen von dessen ärztlichen Leiter unterschrieben werden muss, ist mit höherrangigem Recht vereinbar.
2. Der bei nicht fristgemäßer Vorlage einer ordnungsgemäßen Abrechnung verbundene (vollständige) Honorarverlust bewirkt einen Eingriff in die Berufsfreiheit, der in der Regel jedoch eine rechtmäßige Berufsausübungsregelung im Sinne von Art 12 Abs 1 S 2 GG darstellt.
3. Dieser Eingriff ist im Allgemeinen gerechtfertigt durch das Ziel der zügigen und zeitgerechten Honorierung aller in einem Quartal erbrachten Leistungen auf der Grundlage von die Garantiefunktion erfüllenden Sammelabrechnungen (vgl hierzu Urteile des BSG vom 29.8.2007 - B 6 KA 29/06 R = SozR 4-2500 § 85 Nr 37 RdNr 11 und vom 22.6.2005 - B 6 KA 19/04 R = SozR 4-2500 § 85 Nr 19 RdNr 25).
4. Allerdings unterliegt der Eingriff dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der einen vollständigen Honorarverlust nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zulässt.
5. Hat eine Kassenärztliche Vereinigung ein gestaffeltes und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip genügendes System von Rechtsfolgen normiert (vgl das Urteil des BSG vom 22.6.2005 - B 6 KA 19/04 R = SozR 4-2500 § 85 Nr 19), welches eingreift, wenn eine ordnungsgemäße Abrechnung nicht fristgerecht erstellt werden kann, das MVZ von diesen Möglichkeiten aber keinen Gebrauch gemacht hat, liegt ein solcher Ausnahmefall vor, so dass die Normierung eines vollständigen Honorarverlusts als Folge einer fehlenden Unterschrift durch den ärztlichen Leiter nicht gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip verstößt und insoweit wirksam ist.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 21. Juni 2017 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird auf 135.819,69 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Streitig ist die Rechtmäßigkeit der Rückforderung der Honorare für die Quartale 2/2013 und 3/2013.
Die Klägerin betreibt in der Rechtsform der GmbH ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ), das im streitigen Zeitraum in Köln zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen war. Die Zulassung besteht gegenwärtig nicht mehr. Die GmbH ist weiterhin im Handelsregister eingetragen (AG Köln HRB 000). Seit dem 10. August 2011 ist Herr B I allein vertretungsberechtigter Geschäftsführer der GmbH.
Als ärztliche Leiter der Klägerin waren der Beklagten in folgenden Zeiträumen folgende Personen namentlich benannt:
Dr. L (bis 1. Februar 2012),
Dr. L1 (1. Februar 2012 bis 31. Dezember 2012),
Dr. M (ab 1. Januar 2013, aber Ende der Anstellung zum 31. Dezember 2012),
Dr. C (1. Januar 2013 bis 28. Februar 2013),
Dr. L2 (15. April 2013 bis 30. Juni 2013),
Dr. T (18. Juli 2013 bis 31. Dezember 2013),
Frau D (1. Januar 2014 bis 31. März 2014).
Mit Gesamtaufstellung für das 2. Quartal 2013 vom 10. Juli 2013 (Eingang bei der Beklagten am 17. Juli 2013) machte die Klägerin insgesamt 1.478 Behandlungsfälle geltend. Mit Gesamtaufstellung für das 3. Quartal 2013 vom 14. Oktober 2013 (Eingang bei der Beklagten am 18. Oktober 2013) zeigte die Klägerin 656 Behandlungsfälle an. Die Erklärungen wurden jeweils durch den Geschäftsführer der Klägerin unterzeichnet.
Mit Abrechnungsbescheiden vom 22. Oktober 2013 und 21. Januar 2014 stellte die Beklagte einen Vergütungsanspruch in Höhe von 50.090,39 EUR (2/2013) und 93.271,95 EUR (I3/2013) fest (insgesamt: 143.362,34 EUR).
Mit Schreiben vom 25. November 2013 wandte sich Frau Dr. T an die Beklagte und wies darauf hin, dass sie durch den Geschäftsführer der Klägerin "eigenmächtig seit 18. Juli 2013 als ärztliche Leiterin benannt" worden sei. Diese Angabe sei falsch und "rückwirkend zu löschen".
Mit Bescheid vom 12. Februar 2014 hob die Beklagte die Honorarbescheide für die Quartale 2 bis 4/2013 auf und forderte Honorare in Höhe von 153.611,64 EUR zurück, da die von der Klägerin bestellte und vom Zulassungsausschuss bestätigte ärztliche Leiterin gegenüber der Beklagten erklärt habe, zu keiner Zeit ärztliche Leiterin gewesen zu sein und die Gesamtaufstellungen in den genannten Quartalen nicht unterschrieben zu haben. Die Gesamtaufstellungen entsprächen daher nicht den Vorgaben des § 1 Abs. 4 Honorarverteilungsmaßstab (HVM), wonach bei einem MVZ die Unterschrift des ärztlichen Leiters erforder...