Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht. Bemessung des GdB nach Ablauf der Heilungsbewährung bei Brustkrebs. brusterhaltende Teilmastektomie. Aufbauplastik mit schlechtem Ergebnis

 

Orientierungssatz

1. Die Bemessung des Gesamt-GdB ist in drei Schritten vorzunehmen und grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe. In einem ersten Schritt sind die einzelnen Gesundheitsstörungen und die sich daraus ergebenden Teilhabebeeinträchtigungen festzustellen. In einem zweiten Schritt sind diese den in der Anl VersMedV genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. In einem dritten Schritt ist dann, in der Regel ausgehend von der Beeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-GdB, in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen der maßgebliche Gesamt-GdB zu bilden, vgl. BSG, Urteil vom 30.09.2009 - B 9 SB 4/08 R -, Rn 20.

2. Die Versorgungsmedizinischen Grundsätze als Anlage der VersMedV stellen eine der Entscheidungsfindung dienende Grundlage der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft zur Bemessung sowohl des Umfangs als auch der Schwere der Beeinträchtigung dar. Eine Abweichung von diesen Grundsätzen kann nur in medizinisch begründeten Ausnahmefällen in Betracht kommen.

3. Besteht nach Ablauf der Heilungsbewährung nach Brustkrebs auf der einen Seite ein Zustand nach subkutaner Mastektomie mit Aufbauplastik mit schlechtem Ergebnis und auf der anderen Seite ein Zustand nach brusterhaltender subkutaner Teilmastektomie, ist eine Vergleichbarkeit der Situation mit einem beiderseitigen Verlust der Brust nicht gegeben, so dass ein Teil-GdB von 40 ausscheidet und ein Teil-GdB von 30 anzunehmen ist.

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 16.02.2016 aufgehoben, soweit die Beklagte verurteilt wurde, bei der Klägerin einen höheren GdB als 40 festzustellen.

Die Beklagte trägt die der Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren entstandenen außergerichtliche Kosten zu ½, darüber hinausgehende außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Herabsetzung des bei der Klägerin festgestellten Grades der Behinderung (GdB) von 60 auf 30 nach Ablauf der Heilungsbewährung bei Brustkrebs.

Die am 00.00.1961 geborene Klägerin erkrankte im Jahr 2000 erstmalig an Brustkrebs. Nach subkutaner Mastektomie der linken Brust erfolgte eine Aufbauplastik zur Wiederherstellung der Brust mit einem Silikonimplantat. Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 08.12.2000 wegen Verlustes der linken Brust ab dem 23.10.2000 bei der Klägerin einen GdB von 60 fest. Nach Ablauf der bei der Funktionsbeeinträchtigung "Verlust der linken Brust" bestehenden Heilungsbewährung und Durchführung medizinischer Ermittlungen stellte die Beklagte mit Bescheid vom 04.07.2005 unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 08.12.2000 bei der Klägerin einen GdB von 30 fest. Einen hiergegen durch die Klägerin erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 08.11.2005 zurück.

Im Jahr 2006 erkrankte die Klägerin erneut an Brustkrebs. Eine subkutane Mastektomie hatte bei der Klägerin einen Teilverlust der rechten Brust zur Folge. Mit Bescheid vom 08.01.2007 stellte die Beklagte wegen Verlustes der linken Brust und Implantatwechsel ab dem 27.11.2006 bei der Klägerin einen GdB von 60 fest. Nach Ablauf der bestehenden Heilungsbewährung holte die Beklagte Behandlungs- und Befundberichte des behandelnden Facharztes für Innere Medizin Dr. K vom 24.10.2011 und der behandelnden Frauenärztin Dr. M vom 13.11.2011 sowie eine gutachterliche Stellungnahme der Fr. K1 vom 28.11.2011 ein, die wegen des Verlustes der linken Brust, Implantatwechsel links, Teilverlust der rechten Brust nach Ablauf der Heilungsbewährung einen GdB von 30 für angemessen hielt. Die Beklagte hörte die Klägerin hierzu an. Diese führte aus, dass eine bestehende Rückfallneigung, bestehende Wiedererkrankungsängste, die Notwendigkeit einer erneuten Operation der rechten Brust wegen erneuten Krebsverdachtes, eine Kapselfibrose links sowie Beschwerden der Schulter und im HWS-Bereich nicht berücksichtigt worden seien. Die Beklagte holte weitere gutachterliche Stellungnahmen der Dr. I vom 16.02.2012 und vom 02.02.2012 ein und hörte die Klägerin erneut an. Mit Bescheid vom 09.03.2012 stellte die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 08.01.2007 und unter Berücksichtigung des Verlustes der linken Brust mit plastischem Aufbau und des Teilverlustes der rechten Brust bei der Klägerin einen GdB von 30 fest. Hiergegen legte die Klägerin am 16.04.2012 Widerspruch ein, den die Bezirksregierung Münster, nach vorheriger Einholung einer gutachterlichen Stellungnahme der Dr. H vom 21.08.2012 durch die Beklagte, mit Widerspruchsbescheid vom 13.12.2012 zurückwies.

Mit ihrer am 17.01.2013 bei dem Sozialgericht (SG) Detmold erhobenen Klage hat die Kläge...

Dieser Inhalt ist unter anderem im SGB Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge