Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht. GdB-Herabsetzung. Brustkrebserkrankung. beidseitige Mastektomie. fünfjährige Heilungsbewährungszeit. Angst vor erneuten Rezidiven. keine individuelle Verlängerung bei der zweiten Krebserkrankung. Rechtsnormcharakter der Versorgungsmedizinischen Grundsätze

 

Leitsatz (amtlich)

Die Heilungsbewährungszeit nach einer Krebserkrankung kann nicht individuell verlängert werden, weil eine Rezidiverkrankung vorliegt.

 

Orientierungssatz

1. Damit verbleibt es auch im Falle einer zweiten Krebserkrankung (hier: Brustkrebs) bei der nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen vorgegebenen festen Heilungsbewährungszeit (hier: 5 Jahre), in welcher keine erneuten Rezidive auftreten dürfen.

2. Soweit das LSG Chemnitz in seiner Entscheidung vom 25.5.2005 - L 6 SB 55/04 zu den vormals geltenden Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit (AHP) eine Abweichung von den vorgegebenen Heilungsbewährungszeiten für zulässig erachtet hat (unter Hinweis darauf, dass die Statistiken, aus denen die üblichen Heilungsbewährungszeiten abgeleitet werden, nur Relevanz für das Erstrezidiv hätten), kann eine solche Ansicht nicht auf die Versorgungsmedizinischen Grundsätze übertragen werden, weil diese Rechtsnormcharakter haben.

3. Die mit der Rezidiverkrankung verbundene psychische Belastung (Rezidivangst) ist nach Ablauf der Heilungsbewährung im Rahmen einer bestehenden psychischen Funktionsstörung zu berücksichtigen.

 

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Grades der Behinderung (GdB).

Die am ... 1960 geborene Klägerin beantragte am 10. Januar 2011 die Feststellung von Behinderungen wegen einer Brustkrebserkrankung. Nach dem Bericht des Krankenhauses S H. vom 16. August 2010 wurde bei ihr ein Lokalrezidiv der rechten Mamma (T1b Nx M0, G2, L0) festgestellt. Am 23. Juli 2010 erfolgte eine subkutane Mastektomie beidseits mit Implantateinlage. Mit Bescheid vom 27. Januar 2011 stellte der Beklagte bei der Klägerin ab 10. Januar 2011 einen GdB von 50 wegen einer Brustkrebserkrankung rechts im Stadium der Heilungsbewährung fest.

Im Oktober 2015 leitete der Beklagte eine Nachprüfung von Amts wegen ein. Nach dem Bericht des Krankenhauses S H. vom 22. Mai 2014 liege ein unauffälliger klinischer Befund beidseits vor. Es bestehe kein Anhalt für ein Lokalrezidiv. Die Implantate seien intakt. Nach Beteiligung seines ärztlichen Dienstes, der für den Teilverlust der rechten Brust nach Ablauf der Heilungsbewährung einen Einzel-GdB von 10 vorschlug, hörte der Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 14. Dezember 2015 zur beabsichtigten Herabsetzung des GdB auf 10 für die Zukunft an.

Die Klägerin führte in ihrer Stellungnahme vom 18. Januar 2016 aus: Sie sei nun schon das zweite Mal an Krebs erkrankt und müsse täglich mit dem Wissen und der Furcht vor einer dritten Erkrankung leben und umgehen. Die fachärztliche Weiterbeobachtung sei zwingend, weil Nebenwirkungen wie Wucherungen der Gebärmutterschleimhaut, eine beginnende Trübung der Augenlinse, diverse Beschwerden des klimakterischen Syndroms und Polyneuropathie vorlägen. Die Stoffwechselveränderungen hätten zu Übergewicht geführt. Sie habe beide Brüste verloren, weil es auch in der linken Brust Veränderungen gegeben habe. Die Brüste seien wegen der Bestrahlung bei der Erstbehandlung unterschiedlich. Dies betreffe auch die Größe. Zeitweise habe sie Verhärtungen und dadurch Beschwerden in der rechten Brust. Metastasen und maligne Neubildungen könnten auch nach mehr als fünf Jahren auftreten. Der Beklagte holte eine Stellungnahme seines Gutachters Dr. H. ein, der für den Verlust beider Brüste mit unauffälliger Implantatversorgung einen GdB von 20 vorschlug.

Mit Bescheid vom 19. Februar 2016 hob der Beklagte den Bescheid vom 27. Januar 2011 auf und stellte ab 1. März 2016 einen GdB von 20 fest.

Dagegen erhob die Klägerin am 14. März 2016 Widerspruch und trug vor: Trotz des Wiederaufbaus der Brust habe sie mit Einschränkungen und Entstellungen durch die unterschiedlich großen Brüste sowie einem Taubheitsgefühl zu kämpfen, sodass ein GdB von 30 gerechtfertigt sei. Auch leide sie aufgrund der Krebsbehandlungen an einer Polyneuropathie an Händen und Füßen. Sie habe Missempfindungen, Kribbeln und Schmerzen. Zudem habe sie eine Konzentrationsschwäche. Der Handlung- und Bewegungsspielraum sei massiv eingeschränkt. Auch wüchsen die Nägel nicht mehr nach.

Im Widerspruchsverfahren lag der Entlassungsbericht der Klinik G. vom 4. März 2011 über den stationären Aufenthalt der Klägerin vom 1. Februar bis 1. März 2011 vor. In dem Bericht wurden als Beschwerden der Klägerin Missempfindungen und Nagelveränderungen im Bereich der Hände und Füße sowie eine körperliche eingeschränkte Belastbarkeit angegeben. Die Konzentrationsfähigkeit habe sich deutlich verschlechtert. Die Klägerin arbeite 41 Stunden wöchentlich als Anwendungsprogrammiererin und Projektmanagerin, habe...

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