Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Krankengeld. Nachsichtgewährung bei Versäumung der Meldefrist nach § 49 Abs 1 Nr 5 SGB 5
Orientierungssatz
Für eine Nachsichtgewährung bei Versäumung der Meldefrist nach § 49 Abs 1 Nr 5 SGB 5 liegen die Voraussetzungen vor, wenn der Versicherte davon ausgehen konnte, dass sich der Vertragsarzt unter Nutzung der von der betreffenden Krankenkasse zur Verfügung gestellten Freiumschläge um die Weiterleitung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung an die Krankenkasse kümmern werde.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 31.01.2017 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die Kosten des Klägers auch im Berufungsverfahren. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Umstritten ist, ob der Anspruch des Klägers auf Krankengeld für den Zeitraum vom 02. bis 25.04.2016 in Höhe von 1006,32 Euro beruht.
Der am 00.00.1966 geborene und bei der Beklagten krankenversicherte Kläger erhielt von der Beklagten aufgrund einer seit dem 12.11.2015 bestehenden Arbeitsunfähigkeit nach dem Ende der sechswöchigen Entgeltfortzahlung fortlaufend Krankengeld seit dem 24.12.2015. Am 01.04.2016 stellte der Arzt für Allgemeinmedizin E., X., weitere Arbeitsunfähigkeit bis zum 15.04.2016 sowie ferner am Montag, 18.04.2016 Arbeitsunfähigkeit bis zum 30.04.2016 fest. Die für die Beklagte bestimmten Ausfertigungen der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen gingen nicht bei der Beklagten ein. Erst am 02.05.2016 übermittelte der Arzt E. (per Telefax mit dem Datumsaufdruck "26.04.2016") Zweitschriften der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ("festgestellt am 02.05.2016"). Durch Bescheid vom 06.05.2016 bewilligte die Beklagte dem Kläger Krankengeld vom 26.04. bis 20.05.2016. Für den Zeitraum vom 02.04. bis 25.04.2016 stellte sie das Ruhen des Krankengeldanspruches fest und führte dazu aus, dass die Arbeitsunfähigkeit ihr erst am 26.04.2016 und damit nicht innerhalb einer Woche nach ärztlicher Feststellung angezeigt worden sei. Den dagegen am 03.06.2016 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 12.09.2016 zurück.
Der Kläger hat dagegen am 08.10.2016 Klage vor dem Sozialgericht Aachen erhoben.
Er hat gemeint, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm auch für den Zeitraum vom 02.04. bis 25.04.2016 Krankengeld zu zahlen, weil die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen des Arztes E. vom 01.04.2016 und 18.04.2016 von in der Beklagten zur Verfügung gestellten Freiumschlägen der Beklagten per Post übersandt worden sei; der Umstand, dass diese Sendungen verloren gegangen seien, dürfe ihm nicht zum Nachteil reichen. Dazu hat er ein Schreiben des Arztes E. vom 15.01.2017 vorgelegt, in dem es u.a. heißt: "Krankmeldungen (Exemplar für die Kasse) werden hier grundsätzlich am selben oder am Folgetag in Freiumschlägen der Knappschaft an die Knappschaft geschickt ..."
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 06.05.2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.09.2016 insoweit aufzuheben, als dadurch das Ruhen des Krankengeldanspruchs für die Zeit vom 02.04. bis 25.04.2016 festgestellt worden ist und die Beklagte zu verpflichten, ihm auch für diesen Zeitraum Krankengeld zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Ansicht vertreten, dass auch der Umstand, dass sie den Vertragsärzten Freiumschläge zur Übersendung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zur Verfügung gestellt habe, den Versicherten nicht von seiner Obliegenheit befreie, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu übermitteln bzw. sich zu vergewissern, dass die von dem Arzt gesandten Bescheinigungen rechtzeitig eingegangen seien.
Durch Urteil vom 31.01.2017 hat das Sozialgericht die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe Bezug genommen.
Gegen das ihr am 08.02.2017 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 24.02.2017 Berufung eingelegt.
Zur Begründung macht sie geltend: Die Verfahrensweise, den behandelnden Ärzten Freiumschläge für die Übersendung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zur Verfügung zu stellen, führe nicht dazu, dass den Versicherten die Verpflichtung abgenommen worden wird, die Arbeitsunfähigkeit selbst zu melden. Sinn und Zweck der Vorschrift des § 49 Abs. 1 Satz 5 SGB V sei es, die Krankenkassen davor zu schützen, eine im Nachhinein verspätet geltend gemachte Arbeitsunfähigkeit hinsichtlich eines Krankengeldanspruchs nicht zeitnah überprüfen zu können. Eine Abwälzung der Verantwortlichkeit der Versicherten auf die behandelnden Ärzte sei nach alledem untunlich, zumal eine Zurechenbarkeit des ärztlichen Verhaltens bereits aus rechtlichen Gründen fernliege.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgericht Aachen vom 31.01.2017 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird verwiesen auf den übrigen Inhalt der Streitakten sowie der Verwaltungsakten der Bek...