Entscheidungsstichwort (Thema)

Soziale Pflegeversicherung. Finanzierung von Pflegeeinrichtungen. Kalkulation der Pflegesätze sowie der Entgelte für Unterkunft und Verpflegung durch Schiedsspruch. zweigliedriges Prüfmuster. Abschätzung der voraussichtlichen Kosten. Prüfung der Leistungsgerechtigkeit. Gewinnzuschlag (Risikozuschlag). angemessene Vergütung des Unternehmerrisikos. Bemessung der Gewinnchance. Beurteilungsspielraum der Schiedsstelle. eingeschränkte gerichtliche Kontrolle. Verzinsung. keine Anwendung des § 44 SGB 1

 

Orientierungssatz

1. Pflegesatzverhandlungen und eventuell nachfolgende Schiedsstellenverfahren sind grds nach einem zweigliedrigen Prüfmuster durchzuführen: Grundlage der Verhandlung über Pflegesätze und Entgelte ist zunächst die Abschätzung der voraussichtlichen Kosten der in der Einrichtung erbrachten Leistungen nach § 85 Abs 3 S 2 Halbs 1 und S 3 SGB 11 (Prognose). Daran schließt sich in einem zweiten Schritt die Prüfung der Leistungsgerechtigkeit nach § 84 Abs 2 S 1 und 4 SGB 11 an. Maßgeblich hierfür sind die Kostenansätze vergleichbarer Leistungen in anderen Einrichtungen (externer Vergleich) (vgl BSG vom 16.5.2013 - B 3 P 2/12 R = BSGE 113, 258 = SozR 4-3300 § 85 Nr 4).

2. Der Schiedsstelle ist bei ihrer Entscheidungsfindung ein Beurteilungsspielraum eingeräumt, der nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle zugänglich ist (vgl BSG vom 25.1.2017 - B 3 P 3/15 R = SozR 4-3300 § 76 Nr 1).

3. Nach § 84 Abs 2 S 4 SGB 11 haben die Pflegeheime ua Anspruch auf eine angemessene Vergütung ihres Unternehmerrisikos. Hinsichtlich der Bemessung der Gewinnchance ist es grds von den Vertragspartnern hinzunehmen, wenn die Schiedsstelle im Rahmen ihres Beurteilungsspielraums nach ihrem Ermessen in vertretbarer Weise mit der Festsetzung der Pflegesätze zugleich die Grundlage für die Realisierung von Gewinnaussichten setzt. Dies kann entweder über einen festen umsatzbezogenen Prozentsatz geschehen oder über die Auslastungsquote gesteuert werden.

4. Die Verzinsungsnorm des § 44 SGB 1 regelt einen Sachverhalt, der in keiner Hinsicht auch nur ansatzweise mit der Fallgestaltung der Kalkulation von Pflegesätzen und der Entgelte für Unterkunft und Verpflegung vergleichbar ist. Es findet sich somit kein Anknüpfungspunkt für eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 26.09.2019; Aktenzeichen B 3 P 1/18 R)

 

Tenor

Der Schiedsspruch der Beklagten vom 03.12.2015 wird aufgehoben und die Beklagte verurteilt, einen neuen Schiedsspruch unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu erlassen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob und ggfls. in welcher Höhe ein Gewinnzuschlag (Risikozuschlag) bei der Kalkulation der Pflegesatzvergütungen sowie der Entgelte für Unterkunft und Verpflegung in dem Zeitraum vom 01.09.2015 bis zum 30.06.2016 zu berücksichtigen ist.

Die Beigeladene ist Trägerin u.a. des Pflegeheims "D-haus St. F" in S. Zwischen ihr und der Arbeitsgemeinschaft der Pflegekassen in Nordrhein-Westfalen besteht ein Versorgungsvertrag, nach dem die Einrichtung Leistungen der vollstationären Pflege erbringt. Unter dem 11.05.2015 forderte die Beigeladene die Kläger zur Aufnahme von Vergütungsverhandlungen für den Zeitraum vom 01.07.2015 bis 30.06.2016 auf. Sie legte den gemeinsamen Nachweis gemäß § 85 Abs. 3 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) für stationäre Pflegeeinrichtungen in NRW vor, der einen Risikozuschlag von 4 % der Gesamtkosten (neben der Pflegevergütung für Personal und Sachkosten sowie den Entgelten für Unterkunft und Verpflegung) enthielt. Die Kläger unterbereiteten am 26.05.2015 ein Angebot, das indes einen Risikozuschlag nicht enthielt. Eine Reaktion der Beigeladenen erfolgte (zunächst) nicht; auf Erinnerung wies die Beigeladene mit Schreiben vom 15.07.2015 auf den geforderten Gewinnzuschlag in Höhe von 4 % hin.

Am 06.08.2015 stellte die Beigeladene bei der beklagten Schiedsstelle für die Soziale Pflegeversicherung im Land Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, einen Antrag auf Durchführung eines Verfahrens zur Festsetzung der Pflegesätze und Entgelte für Unterkunft und Verpflegung gemäß § 85 Abs. 5 SGB XI.

Zur Begründung machte sie geltend:

Für den Vergütungszeitraum 01.07.2015 bis 30.06.2016 sei die Vergütung für die Pflegestufe 0 auf 34,19 Euro, für die Pflegestufe I auf 51,77 Euro, für die Pflegestufe II auf 72,99 Euro, für die Pflegestufe III auf 94,98 Euro, die Entgelte für Unterkunft auf 20,20 Euro und für Verpflegung auf 15,55 Euro - jeweils je Berechnungstag - festzusetzen. Die Kläger hätten demgegenüber Pflegesätze und Entgelte für Unterkunft und Verpflegung wie folgt angeboten (Schreiben vom 26.05.2015):

Pflegestufe 0: 31,48 Euro je Berechnungstag,

Pflegestufe I: 49,06 Euro je Berechnungstag,

Pflegestufe II: 70,28 Euro je Berechnungstag,

Pflegestufe III: 92,27 Euro je Berechnungstag,

Entgelt Unterkunft: 19,42 Euro je Berechnungstag,

Entgelt Verpflegung: 14,96 Euro je Berechnungstag.

Sie sei unter Zurückstel...

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