Entscheidungsstichwort (Thema)

Gewaltopferentschädigung. Leistungsvoraussetzung. im Kosovo geborener Ausländer. kein rechtmäßiger Aufenthalt im Tatzeitpunkt. rechtmäßiger Aufenthalt nach Antragstellung

 

Orientierungssatz

1. Zum Anspruch auf Gewaltopferentschädigung eines im Kosovo geborenes Ausländers der sich im Zeitpunkt des schädigendes Ereignisses noch nicht rechtmäßig iS des OEG im Bundesgebiet aufgehalten hat.

2. Voraussetzung eines Leistungsanspruchs nach § 1 OEG ist nicht, dass sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen bereits zum Tatzeitpunkt vorgelegen haben. Sind die Voraussetzungen des Grundtatbestandes des § 1 Abs 1 bis 3 OEG erfüllt, so ist die Versorgungsverwaltung vorbehaltlich der Bestimmungen über die Antragstellung sowie eventueller Ausschlussgründe (zB §§ 2, 10 OEG) - dem ausländischen Geschädigten ab dem Zeitpunkt leistungspflichtig, ab dem er die besonderen Voraussetzungen für Ausländer (§ 1 Abs 4 bis 6 OEG) erfüllt oder in die Bundesrepublik Deutschland eingebürgert wird. Ein Anspruch auf Versorgung kann danach auch entstehen, wenn sich - wie hier - ein unrechtmäßiger Aufenthalt zu einem rechtmäßigen Aufenthalt wandelt.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 08.11.2007; Aktenzeichen B 9/9a VG 3/05 R)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 16.10.2000 geändert und der Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 16.11.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.04.1999 verurteilt, 1. Sensible und vegetative Ausfalls- sowie Reizerscheinungen an der Vorderseite des rechten Oberschenkels, am kniegelenknahen Drittel der Vorderseite des rechten Unterschenkels und leichte Minderung der Muskelmasse des rechten Oberschenkels, 2. leichtgradige depressive Störung als Reaktion auf erhebliche soziale Belastungsfaktoren bei gesteigert empfindsamer und sehr nachhaltiger Persönlichkeit, 3. Zustand nach Schussverletzung im Unterbauch mit operativ versorgter Darm- und venöser Gefäßperforation, Nerventeilschädigung mit sensiblen und motorischen Ausfallserscheinungen als Schädigungsfolge der Tat vom 02.03.1997 anzuerkennen und dem Kläger Versorgungsrente nach einer MdE um 40 v.H. für die Zeit vom 09.04.1998 bis 30.09.1998 zu zahlen. Der Beklagte hat dem Kläger ein Viertel der ihm in beiden Rechtszügen entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger eine Versorgungsrente nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) zusteht.

Der 1972 im Kosovo geborene Kläger reiste im Mai 1993 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sein Asylantrag wurde 1995 rechtskräftig abgelehnt. Seitdem hält er sich aufgrund mehrfach verlängerter ausländerrechtlicher Duldungen im Bundesgebiet auf.

Am 02.03.1997 wurde der Kläger in einer Spielhalle in N durch einen Bauchschuss lebensbedrohlich verletzt, den ein türkischer Staatsangehöriger im Rahmen einer tätlichen Auseinandersetzung mit einem Bekannten des Klägers abgab. Wegen der Folgen dieser Tat beantragte der Kläger am 09.04.1998 Leistungen nach dem OEG. Der Beklagte zog die Unterlagen des staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens sowie Befundberichte des Neurologen und Psychiaters Dr. Q vom 03.06.1998 und des Allgemeinmediziners Dr. S vom 09.06.1998 mit weiteren Arztberichten bei. Anschließend holte er Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. N vom 13.10.1998 und des Sozialmediziners Dr. X vom 02.10.1998 ein. Diese diagnostizierten eine inkomplette Läsion der Nervenwurzeln L3 und L4 sowie ein reaktiv depressives Syndrom. Die MdE bewerteten sie mit 20 v.H.

Mit Bescheid vom 16.11.1998 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers auf Versorgung ab. Als jugoslawischer Staatsangehöriger gehöre der Kläger nicht zu dem in § 1 Abs. 4 OEG aufgeführten Personenkreis. Auch die in § 1 Abs. 5 OEG genannten Voraussetzungen für eine Leistungsberechtigung erfülle er nicht, da er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. Nach dem rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahren sei er zur Ausreise verpflichtet. Ausländerrechtliche Duldungen würden ihm lediglich erteilt, weil eine Abschiebung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht möglich sei. Hierbei handele es sich nicht um eine Duldung aus humanitären Gründen oder aus erheblichem öffentlichen Interesse wie in § 1 Abs. 5 S. 2 OEG gefordert.

Der Kläger legte gegen diesen Bescheid am 26.11.1998 Widerspruch ein und trug vor, dass in seiner Heimat im Kosovo ein blutiger Bürgerkrieg tobe und er daher aus humanitären Gründen zumindest vorübergehend in der Bundesrepublik bleiben müsse.

Auf Anfrage des Beklagten teilte das Ausländeramt des Märkischen Kreises am 16.02.1999 mit, dass der Kläger zur Ausreise verpflichtet sei, zurzeit aber über keine Rückführungsdokumente verfüge. Ferner fänden gegenwärtig aus den bekannten Gründen keine Rückführungen nach Jugoslawien statt. Der Kläger sei deshalb im Besitz einer Duldung nach § 55 Abs. 2 Ausländer...

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