Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Empfänger laufender Leistungen der Grundsicherung. rechtswidrige Steuerung der Versicherungspflicht seitens des SGB 12-Leistungsträgers, um sich zulasten eines anderen Leistungsträgers (hier: der gesetzlichen Krankenversicherung) der eigenen Leistungspflicht zu entziehen. Ausschluss der Auffang-Versicherungspflicht. Auslegung von § 5 Abs 8a S 2 und 3 SGB 5

 

Orientierungssatz

Bei der Anwendung von § 5 Abs 8a S 2 und 3 SGB 5 ist zumindest dann allein auf die materiell-rechtliche Rechtslage und somit auf den Leistungsanspruch abzustellen, wenn der SGB 12-Leistungsträger unter Ausnutzung der fehlenden Rechtskunde des Leistungsberechtigten offensichtlich zielgerichtet einen "Unterbrechungszeitraum" von genau einem Monat rechtswidrig konstruiert und sich somit durch rechtswidrige "Steuerung" der Versicherungspflicht zulasten eines anderen Leistungsträgers (hier: der gesetzlichen Krankenversicherung) der eigenen Leistungspflicht entzieht.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 07.07.2020; Aktenzeichen B 12 KR 21/18 R)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 24.01.2017 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Durchführung einer Pflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V bei der Beklagten.

Der 1944 geborene Kläger ist gesundheitlich eingeschränkt. U.a. wegen einer gemischt chronischen Angst- und depressiven Störung, einer leichten Intelligenzminderung mit erheblicher Schreibschwäche, einem Zustand nach Hirninfarkten rechts und links mit Paresen beider Körperhälften, einem Zustand nach Herzinfarkt, Diabetes mellitus Typ II sowie chronischer Niereninsuffizienz Stadium III liegt seit 1994 volle Erwerbsminderung auf Dauer im Sinne des SGB VI vor.

Die Deutsche Rentenversicherung Rheinland (DRV) gewährt dem Kläger seit Juni 2009 eine (Alters-)Rente, die sich auf wenig mehr als 100 EUR monatlich beläuft. Aus dem Versicherungsverlauf ergeben sich Pflichtbeitragszeiten wegen Beschäftigung u.a. vom 17.07.1972 bis zum 08.03.1973. Für diesen Zeitraum wurden Beiträge zur AOK Bad H, deren Rechtsnachfolgerin die Beklagte ist, abgeführt.

Von der Beigeladenen erhielt der Kläger seit 1987 (aufstockend) Leistungen der Grundsicherung (zunächst nach dem GSiG, später nach dem Vierten Kapitel des SGB XII).

Die Leistungsbewilligungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII erfolgten durch schriftliche "Monatsbescheide" oder tatsächliche Auszahlung des monatlichen Leistungsbetrages (letzter schriftlicher Bescheid vom 28.02.2016 für den Monat März), wobei verwertbares Vermögen der Leistungsgewährung zunächst nicht entgegenstand (letzte aktenkundige Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers im Frühjahr 2012).

Bei der Folgeprüfung im Frühjahr 2014 wies das Girokonto des Klägers per 25.04.2014 ein Guthaben i.H.v. 6.101,70 EUR aus. Der Kläger gab bei einer Vorsprache am 28.04.2014 an, das Geld für eine neue Waschmaschine, einen Kühlschrank, eine Brille sowie für seine Bestattungsvorsorge einsetzen zu wollen. Die Beigeladene gab dem Kläger auf, den Verbrauch des angesparten Betrages oberhalb der Schongrenze von 2.600 EUR bis zum 02.06.2014 nachzuweisen (Schreiben vom 28.04.2014).

Am 23.05.2014 schloss der Kläger mit der Fa. H.O. Bestattungen GmbH einen Bestattungsvorsorge-Treuhandvertrag i.H.v. 3.200 EUR, was er der Beigeladenen durch Vorlage der Vertragsunterlagen am 26.05.2014 nachwies.

Unter dem 31.05.2014 erließ die Beigeladene einen Bescheid, mit dem sie die Leistungen "vorläufig" einstellte.

Am 01.06.2014 belief sich das Guthaben auf dem Girokonto des Klägers nur noch auf 1.504,12 EUR.

Am 05.06.2014 sprach er erneut bei der Beigeladenen vor und beantragte die Wiedergewährung von Grundsicherungsleistungen ab dem 01.07.2014. Der zuständige Sachbearbeiter erklärte ihm, dass aufgrund der einmonatigen Unterbrechung des Leistungsbezuges nach dem SGB XII, eine Krankenversicherung im Rahmen der "Bürgerversicherung" möglich sei. Der Kläger sagte zu, sich diesbezüglich an die Beklagte zu wenden. Hierzu stellte der zuständige Sachbearbeiter der Beigeladenen ihm unter dem 05.06.2014 eine Bescheinigung aus, wonach "aufgrund des § 90 SGB XII ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII während des Zeitraumes vom 01.06.2014 bis zum 30.06.2014 nicht besteht".

Noch am selben Tag beantragte der Kläger unter Vorlage dieser Bescheinigung bei der Beklagten die Durchführung einer versicherungspflichtigen Mitgliedschaft nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V ab dem 01.06.2014.

Mit Bescheid vom 30.06.2014 bewilligte die Beigeladene dem Kläger erneut Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII für Juli 2014. Auch in den Folgemonaten wurden diese Leistungen durchgehend erbracht. Außerdem gewährte die Beigeladene dem Kläger im Anschluss (weiter) Krankenhilfe nach Maßgabe der Regelungen des Fünften Kapitels des SGB XII.

Mit Bescheiden vom 25.11.2014 und 21.01.2015 erklärte die Beklagte (auch für die Pflegekass...

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