Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit der pauschalen Berücksichtigung der Kirchensteuer bei der Bemessung des Arbeitslosengeldes
Orientierungssatz
1. Bei der Kirchensteuer handelt es sich um einen gewöhnlich anfallenden gesetzlichen Abzug i. S. des § 136 Abs. 1 SGB 3, um den das Bemessungsentgelt bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes zu vermindern ist. Es bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken, dass der Kirchensteuer-Hebesatz als pauschalierter Entgeltabzug berücksichtigt wird.
2. Zur Einhaltung der Verfassungsmäßigkeit der pauschalen Berücksichtigung der Kirchensteuer hat das BVerfG dem Gesetzgeber eine Beobachtungs- und Handlungsverpflichtung auferlegt. Danach ist die pauschale Berücksichtigung der Kirchensteuer verfassungswidrig, wenn der Anteil der Arbeitnehmer, welche Kirchensteuer zahlen, die maßgebliche Grenze von 55 % unterschreitet.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 22.06.2005 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Höhe des dem Kläger vom 01.08.2002 bis 31.07.2003 zustehenden Arbeitslosengeldes (Alg).
Der 1967 geborene Kläger beantragte bei der Beklagten am 10.07.2002 die Zahlung von Alg. Mit Bescheid vom 12.09.2002 bewilligte die Beklagte Alg nach einem wöchentlichen Bemessungsentgelt von 1.050,00 Euro und unter Berücksichtigung der nach § 136 Abs. 1 des Dritten Buches des Sozialgesetzbuches - Arbeitsförderung - (SGB III) gewöhnlich anfallenden gesetzlichen Entgeltabzüge. Der Kläger erhob am 09.10.2002 Widerspruch und machte im Wesentlichen geltend, er unterliege nicht dem Kirchensteuerabzug, so dass die Beklagte den Kirchensteuer-Hebesatz nicht habe berücksichtigen dürfen. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 15.11.2002 zurück.
Nachdem der Kläger zum 01.11.2002 seinen Wohnsitz in den Zuständigkeitsbereich der Agentur für Arbeit B verlegt hatte, bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 08.11.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.12.2002 und Bescheid vom 18.01.2003 Arbeitslosengeld ebenfalls nach einem wöchentlichen Bemessungsentgelt von 1.050,00 Euro und unter Berücksichtigung der nach § 136 Abs. 1 SGB III gewöhnlich anfallenden gesetzlichen Entgeltabzüge.
Der Kläger hat am 16.12.2002 bzw. 16.01.2003 beim Sozialgericht (SG) Münster Klagen erhoben, die das SG mit Beschluss vom 04.08.2003 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden hat.
Er ist weiterhin bei seiner Auffassung verblieben, die Beklagte habe den Kirchensteuer-Hebesatz nicht berücksichtigen dürfen. Der Anteil der Kirchenmitglieder sei zum Jahresende 2000 auf 56,9 % und damit um weitere 0,7% gegenüber den vom Bundessozialgericht (BSG) in dessen Urteil vom 25.06.2002 - B 11 AL 55/01 R - zugrunde gelegten Zahlen gesunken. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 23.03.1994 (BVerfG in SozR 3-4100 § 111 Nr. 6) sei nicht mehr aktuell, da im Zeitalter der EDV eine differenzierte Berechnung des Alg ohne größeren Aufwand möglich sei. Der pauschale Abzug der Kirchensteuer sei auch verfassungswidrig, da er zum einen im Widerspruch zum Recht auf Ausübung der Religionsfreiheit stehe und zum anderen den tatsächlichen Einkommensverhältnissen nicht entspreche. Nach den nunmehr vom Statistischen Bundesamt vorgelegten Zahlen von 1998 bzw. zum Teil bis 2001 sei der Anteil der Arbeitnehmer, die einer steuererhebenden Kirche angehörten, auf 54,3 % bzw. 53,9 % und damit unter den vom BSG für das Merkmal "deutliche Mehrheit" festgelegten Grenzwert von 55 % gesunken.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 22.06.2005 abgewiesen. Es hat zur Begründung im Wesentlichen dargelegt, die Beklagte habe das Leistungsentgelt des Alg zutreffend nach § 136 SGB III unter Berücksichtigung der pauschalen Abzüge betreffend die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallenden Entgeltabzüge ermittelt. Dieses Vorgehen sei auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Jahre 1994 hinsichtlich der zulässigen Typisierung und Pauschalierung der Berechnung von Sozialleistungen nicht zu beanstanden. Ausgehend von der Entscheidung des BVerfG habe das BSG die Berücksichtigung des Kirchensteuer-Hebesatzes bezogen auf den für ihn maßgeblichen Zeitraum für verfassungsmäßig angesehen. Dies gelte auch für den streitigen Zeitraum von August 2002 bis August 2003, da den maßgeblichen Leistungsentgeltverordnungen im Dezember 2001 und Dezember 2002 keine neueren amtlichen Daten über die Kirchensteuerpflichtigen vorgelegen hätten. Mit den Ergebnissen der turnusmäßigen Lohn- und Einkommenssteuerstatistik für das Jahr 1998 könne erst im Frühjahr 2003 gerechnet werden, für das Jahr 2002 lägen im Übrigen auch heute noch keine statistischen Angaben vor. Zwar habe der Gesetzgeber aufgrund der von den Kirchen für das Jahr 2001 veröffentlichen Mitgliederzahlen ab 01.01.2005 bei der Ermittlung des Leistungsentgelts auf die Kirchensteuer verzichtet, eine rückwir...