Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an das fehlende Verschulden zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich einer versäumten Verfahrensfrist
Orientierungssatz
1. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist zu gewähren, wenn das Versäumnis der Verfahrensfrist auch bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt durch einen sachgerecht Prozessführenden nicht vermeidbar gewesen wäre. Auch juristisch nicht geschulte Personen müssen die Rechtsmittelbelehrung beachten und sich notfalls erkundigen. Für die Vorwerfbarkeit der Fristversäumnis kommt es auch auf den Bildungsgrad des Betroffenen an.
2. Bei einem Rechtsirrtum trifft den Beteiligten nur ganz ausnahmsweise dann kein Verschulden, wenn er den Irrtum auch bei sorgfältiger Prüfung nicht vermeiden konnte. Beachtet der Beteiligte die Rechtsmittelbelehrung nicht, wird Verschulden angenommen. Dies gilt auch bei sprachunkundigen Ausländern.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 25.08.2009 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage als unzulässig abgewiesen wird.
Kosten haben die Beteiligten einander auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 01.08.2005 bis 08.02.2006.
Der 1986 geborene Kläger beantragte am 21.07.2005 bei der Beklagten Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II. Er sei seit 02.09.2002 in Ausbildung als pharmazeutisch-technischer Assistent beim X-Institut in T und habe bisher Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) erhalten. Dort habe er am 30.05.2005 einen Fortzahlungsantrag gestellt. Laut Bescheinigung vom 29.06.2005 bestand er die Prüfung zum Beruf des pharmazeutisch-technischen Assistenten im ersten Prüfungsabschnitt nicht, so dass er im Folgenden eine weitere 6-monatige Ausbildung im Umfang von weniger als 20 Wochenstunden als Voraussetzung für eine Wiederholungsprüfung anschließen musste.
Die Beklagte lehnte die Gewährung von Leistungen mit Bescheid vom 12.08.2005 und Widerspruchsbescheid vom 14.09.2005 ab. Der Kläger sei nach § 7 Abs. 5 SGB II als Auszubildender, dessen Ausbildung an sich förderungsfähig sei, von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Ein besonderer Härtefall liege nicht vor.
Am 01.09.2005 stellte der Kläger einen Antrag auf Einstweilige Anordnung beim Sozialgericht (SG) Düsseldorf (S 23 AS 309/05 ER) und begehrte die vorläufige Gewährung von Grundsicherungsleistungen. In diesem Verfahren äußerte er mit Schreiben vom 24.09.2005 im Wesentlichen seine Unzufriedenheit damit, dass er nach nunmehr fast einmonatiger Briefeschreiberei seinen bescheidenen Unterhalt immer noch nicht selbst bestreiten könne. Er habe gedacht, dass die Dringlichkeit der von ihm erhobenen einstweiligen Anordnung angekommen sei und ihm vom Gericht geholfen werden könne. Mit Schreiben vom 05.10.2005 wies das SG den Kläger darauf hin, dass er Klage gegen den Widerspruchsbescheid erheben müsse. Dieses Schreiben ging dem Kläger am 19.10.2005 zu.
Am 09.10.2005 erlitt der Kläger einen Unfall mit anschließender Operation und Krankenhausaufenthalt vom 18. bis 25.10.2005. In seinem Eilverfahren bat er am 29.10.2005 um Fristaufschub, am 23.11.2005 nahm er in der Sache Stellung. Das SG lehnte den Eilantrag mit Beschluss vom 28.11.2005 ab. Dem Kläger fehle es am Rechtsschutzbedürfnis für den Erlass einer einstweiligen Anordnung, da er den Widerspruchsbescheid nicht mit einer Klage angefochten habe.
Mit Schreiben vom 21.12.2005 (Eingang 27.12.2005) wandte sich der Kläger mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde an das Landessozialgericht (LSG) und bat, "doch noch die Möglichkeit einer Klageerhebung gegen die Arge auszuloten".
Das Bezirksamt Lichtenberg von Berlin lehnte die Gewährung weiterer Ausbildungsförderung nach § 2 Abs. 5 BAföG mit Bescheid vom 12.09.2005 ab, da die Unterrichtszeit nur 20 Wochenstunden betrage und eine Förderung nur dann in Betracht komme, wenn die Arbeitskraft des Auszubildenden voll in Anspruch genommen werde (40 Wochenstunden). Nach Ende der verlängerten Ausbildungszeit gewährte die Beklagte dem Kläger ab dem 09.02.2006 Leistungen nach dem SGB II.
Der Kläger hat mit Schreiben vom 19.04.2006 (eingegangen am 24.04.2006) Klage beim Sozialgericht Düsseldorf erhoben und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Er sei als "blutiger juristischer Laie" davon ausgegangen, dass von dem Eilantrag eine Klageerhebung mit umfasst gewesen und Widerspruchs- und Eilverfahren ein einziger Vorgang seien. Soweit das SG ihn im Eilverfahren darauf hingewiesen habe, dass er Klage gegen den Widerspruchsbescheid erheben müsse, sei die Klagefrist am Tag, an dem er das Schreiben erhalten habe, bereits verstrichen gewesen und der Inhalt dieses Schreibens damit ins Leere gegangen. Auch wegen des Unfalls vom 09.10.2005 und dem darauffolgenden Krankenhausaufenthalt sowie der Rehabilitationsmaßnahmen h...