Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. schwenkbarer Autositz als Hilfsmittel. Zielrichtungen des Behinderungsausgleichs. Grundbedürfnis auf Erschließung eines körperlichen und geistigen Freiraums. keine Gewährleistung der Mobilität für eine demenzkranke, gehunfähige Versicherte. Kostenerstattung. Basisausgleich. Nahbereich. Aufsuchen einer Tagespflegeeinrichtung
Orientierungssatz
1. Im Rahmen des Versorgungsziels des Behinderungsausgleichs (§ 33 Abs 1 S 1 Alt 3 SGB 5) ist ein Hilfsmittel, das nur die Folgen der Behinderung ausgleichen soll (sogenannter mittelbarer Behinderungsausgleich) von der gesetzlichen Krankenversicherung nur zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Bedürfnis des täglichen Lebens betrifft. Zu diesen allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens zählt ua die Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums (vgl BSG vom 18.05.2011 - B 3 KR 12/10 R).
2. Für eine demenzkranke, gehunfähige Versicherte, die viermal wöchentlich von ihrem Ehemann mit dem PKW zur Tagespflege und zurück transportiert wird, ist ein schwenkbarer Autositz nicht zur Gewährleistung der Mobilität erforderlich.
Normenkette
SGB V § 33 Abs. 1 S. 1, § 13 Abs. 3; SGB IX § 15 Abs. 1 S. 4; SGB XI § 41
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 28.03.2012 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger verfolgt als Sonderrechtsnachfolger seiner im ersten Rechtszug verstorbenen Ehefrau (im Folgenden: Versicherte) einen Kostenerstattungsanspruch für einen selbst beschafften Autoschwenksitz.
Die 1930 geborene Versicherte litt u.a. an Demenz und war in die Pflegestufe III eingestuft (Pflegegutachten vom 11.12.2007: Grundpflegebedarf 248 Minuten täglich). Unter Hinweis auf die Entscheidung des BSG vom 16.09.2004 (B 3 KR 19/03 R) beantragte die Versicherte am 13.02.2008 die Versorgung mit einem Autoschwenksitz. Sie wies darauf hin, bei ihr lägen die gleichen Verhältnisse wie in dem vom BSG entschiedenen Fall vor. Sie leide an Demenz und sei zudem in ihren körperlichen Funktionen beeinträchtigt. Sie sei nicht in der Lage, sich alleine fortzubewegen. Ihr Ehemann müsse sie zu regelmäßigen Arztbesuchen in H und N fahren. Außerdem suche sie zweimal in der Woche eine Tagespflegeeinrichtung auf. Aufgrund der Demenz bestehe eine Selbstgefährdung, so dass sie der Ehemann nicht alleine zu Hause lassen könne. Er müsse sie zu allen Terminen wie Einkäufen oder Behördengängen mitnehmen. Aufgrund seines fortgeschrittenen Alters sei es ihm nicht möglich, sie alleine in den Pkw zu bewegen.
Mit Bescheid vom 19.02.2008 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Die Versicherte sei mit einem geeigneten Rollstuhl ausgestattet, der die vorhandenen Defizite im Bereich des Basisausgleichs berücksichtige. Die weiteren genannten Gründe für die Versorgung seien nicht nachvollziehbar. Im Übrigen könne keine Prüfung einer medizinischen Notwendigkeit erfolgen, solange keine ärztliche Verordnung vorgelegt werde. Die Klägerin reichte daraufhin eine ärztliche Bescheinigung von Dr. I vom 28.02.2008 ein und legte ausführlich dar, der Ehemann könne wegen der erforderlichen Versorgung des Hauses und des Grundstückes Behördengänge und Einkäufe nicht nur in den Zeiten erledigen, in denen sich die Versicherte in der Tagespflegeeinrichtung befinde. Daher sei er auf deren Mitnahme angewiesen. Außerdem gehe er regelmäßig freitags in einem Thermalbad schwimmen und müsse auch zu diesem Termin die Versicherte mitnehmen. Der Transport mittels Pkw zweimal wöchentlich zur Tagespflege, einmal ins Thermalbad und einmal in der Woche zum Arzt sei kostengünstiger als die jeweilige Beauftragung eines Fahrdienstes. Die Versicherte hat am 06.03.2008 einen Autoschwenksitz beschafft und in den vorhandenen Pkw einbauen lassen, wofür ihr Kosten in Höhe von 3.507,53 Euro entstanden sind. Mit weiterem Schreiben vom 04.05.2008 lehnte die Beklagte erneut eine Kostenübernahme für den Autoschwenksitz ab, da die Versicherte ausreichend versorgt sei. Hinsichtlich der Fahrten zur Tagespflege, die die Versicherte mittlerweile viermal pro Woche besuchte, seien die Fahrkosten aus der Pflegeversicherung vergütungsfähig. Mit Widerspruchsbescheid vom 16.07.2008 wies sie den Widerspruch der Versicherten zurück.
Mit der am 22.07.2008 erhobenen Klage hat die Versicherte geltend gemacht, sie sei nicht in der Lage, sich allein und ohne fremde Hilfe fortzubewegen. Wegen der Demenz müsse der Ehemann sie immer mitnehmen. Eine Fixierung der Versicherten an den Rollstuhl lehne er ab. Der Autoschwenksitz sei erforderlich, um ein bequemes Ein- und Aussteigen aus dem Pkw zu ermöglichen. Der Pkw werde benötigt für die Durchführung von Arztbesuchen und zum Aufsuchen der Tagespflegeeinrichtung viermal wöchentlich. Soweit die Beklagte auf den Fahrdienst der Tageseinrichtung verweise, sei...