Entscheidungsstichwort (Thema)
Mitteilungspflicht. Grobe Fahrlässigkeit. Atypik. Jahresfrist
Leitsatz (redaktionell)
1. Denjenigen, der bei der Antragstellung etwas bewusst wahrheitswidrig verschwiegen hatte, treffen höhere Anforderungen an die Mitteilungspflicht.
2. Ein atypischer Fall liegt vor, wenn er Merkmale aufweist, die signifikant vom (typischen) Regelfall abweichen.
3. Die den Beginn der Jahresfrist bestimmende Kenntnis ist dann anzunehmen, wenn mangels vernünftiger, objektiv gerechtfertigter Zweifel eine hinreichend sichere Informationsgrundlage bezüglich sämtlicher für die Rücknahmeentscheidung notwendiger Tatsachen besteht.
Normenkette
SGB X § 48
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 22. Oktober 2001 geändert. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Beklagte zu Recht überzahlte Witwenrente zurückgefordert hat.
Die Klägerin ist die Witwe des am 00.12.1987 gestorbenen und bei der Beklagten versicherten Q M (Versicherter). Sie war vom 1.5.87 bis 18.11.1987 beschäftigt gewesen und hatte am 2.1.1988 erneut eine bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) renten- und bei der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH) krankenversicherte Beschäftigung aufgenommen (Einkommen 1998: 80.710 DM). Am 8.1.1988 (sowie unter dem 20.2.1988) beantragte sie für sich und ihre beiden Kinder Hinterbliebenenversorgung. Dabei unterzeichnete sie u. a. die Erklärung, dass sie die Beklagte unverzüglich benachrichtigen werde, "falls oder sobald eine der im Zusatzfragebogen RA 5d genannten Einkommensarten bezogen oder beantragt werde bzw. wenn sich die Höhe dieser bereits bezogenen Einkommensarten ändern werde". Zugleich verneinte die Klägerin die Fragen nach Arbeitsentgelt und Arbeitseinkommen und machte auch in den Feldern zu Beschäftigungsart und Arbeitgeber keine Angaben.
Mit Bescheid vom 10.3.1988 bewilligte die Beklagte der Klägerin Witwenrente (monatlich netto - nach Abzug des Krankenversicherungsbeitrags - 917,85 DM). Auf Seite 3 des Bescheides findet sich u.a. der folgende Hinweis: "Trifft eine Hinterbliebenenrente mit Erwerbs- oder Erwerbsersatzeinkommen des Berechtigten zusammen, so ruht die Rente in Höhe von 40 v.H. des Betrages, um den das monatliche Einkommen einen dynamischen Freibetrag übersteigt (§ 1281 Abs.1 RVO). Es besteht die gesetzliche Verpflichtung, uns eine Erhöhung oder das Hinzutreten von Einkommen unverzüglich mitzuteilen."
Am 21.8.1992 teilte die KKH der BfA mit, dass die Klägerin seit 1.1.1990 freiwillig versichert sei. Die BfA leitete dieses Schreiben an die Beklagte weiter, bei deren Sachgebiet Krankenversicherung der Rentner es am 17.6.1993 einging, von wo der Klägerin mitgeteilt wurde, dass die Abführung der Krankenversicherungsbeiträge ab 1.1.90 storniert werde; es könne ein Zuschuss zum freiwilligen Beitrag beantragt werden. Darauf wurde ihr der einbehaltene Eigenanteil in Höhe von 2.396,76 DM antragsgemäß erstattet.
Am 10.1.2000 erging die Warnung 03517: "das Programm hat eine Überzahlung festgestellt."
Durch (später aufgehobenen) Bescheid vom 12.1.2000 änderte die Beklagte wegen des Zusammentreffens der Witwenrente mit Erwerbseinkommen den "Bescheid vom 22.12.1999" ab; die neue Rentenhöhe betrage: 67,77 DM. Für die Zeit vom 1.7.1999 bis 29.2.2000 ergebe sich eine Überzahlung in Höhe von 9.732,16 DM. Die Klägerin widersprach: Sie habe von Beginn an ihre Beschäftigung angezeigt. Mit Schreiben vom 24.2.1988 habe sie mitgeteilt, dass sie bei der Firma I eine Halbtagstätigkeit zu einem Bruttogehalt von monatlich 1500 DM aufgenommen habe. Mit Schreiben vom 18.12.1988 habe sie angezeigt, dass sie nunmehr bei der B Grundstücks AG eine Vollzeitbeschäftigung zu einem Bruttogehalt von 4.125 DM aufgenommen habe. Auf diese Schreiben sei keine Reaktion erfolgt; sie habe damit ihre Verpflichtungen erfüllt. Die Beklagte erteilte sodann unter dem 4.2.2000 einen weiteren Bescheid, mit dem der "Bescheid vom 22.12.1999" nach § 48 Abs.1 S.2 Nr.3 Sozialgesetzbuch, 10 Teil (SGB X) teilweise zurückgenommen und eine Überzahlung in Höhe von 9.732,16 DM zurückgefordert wurde. Die Klägerin widersprach auch diesem Bescheid.
Die Beklagte hörte nunmehr unter dem 17.4.2000 die Klägerin zu der teilweisen Aufhebung des Rentenbescheides vom 10.3.1988 hinsichtlich der Einkommensanrechnung ab 1.1.1989 und der Rückforderung von 111.502,73 DM an.
Die Klägerin nahm dazu wie folgt Stellung: Sie sei in den ersten Januartagen 1988 zu dem Versichertenältesten gegangen. Dieser habe den Antrag auf Hinterbliebenenrente für sie ausgefüllt. Hierbei sei auch erörtert worden, dass sie ein Probearbeitsverhältnis aufgenommen habe. Der Versichertenälteste habe seinerzeit geäußert, dass zunächst abgewartet werden sollte, bis die Probezeit abgelaufen sei. Sodann sollte ihm eine entsprechende Mitteilung gemacht werden. Dies habe sie mit Schreiben vom 24.2.1988 getan, welches sie p...