Entscheidungsstichwort (Thema)
Neugestaltete Bescheide über die Gewährung einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung ohne Anlagen "Entgeltpunkte für Beitragszeiten" und "Entgeltpunkte für beitragsfreie und beitragsgeminderte Zeiten". Begründungsmangel. Heilung des Begründungsmangels durch nachträgliche Übersendung der Anlagen. Kostenerstattungspflicht nach § 63 Abs 1 S 2 SGB 10
Orientierungssatz
1. Fügt der Rentenversicherungsträger einem Rentenbescheid die Anlagen "Entgeltpunkte für Beitragszeiten" und "Entgeltpunkte für beitragsfreie und beitragsgeminderte Zeiten" nicht bei, ist der Bescheid nicht ausreichend iS des § 35 Abs 1 S 1 und 2 SGB 10 begründet und es liegt ein Begründungsmangel vor.
2. Stellt der Rentenversicherungsträger die Anlagen nach einem erhobenen Widerspruch nachträglich zur Verfügung, wird der formelle Mangel nach § 41 Abs 1 Nr 2 SGB 10 geheilt.
3. Die Regelung in § 42 SGB 10 schließt die Kostenfolge des § 63 Abs 1 S 2 SGB 10 in einem solchen Fall nicht aus (entgegen LSG Celle-Bremen vom 8.5.2012 - L 7 AS 52/11 B = juris RdNr 9).
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 9.3.2020 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor der Sachentscheidung wie folgt lautet:
Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 30.9.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.11.2019 verurteilt, der Klägerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin aus beiden Rechtszügen zu 1/5 zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Erstattung der Kosten eines Widerspruchsverfahrens dem Grunde nach.
Die 1956 geborene Klägerin beantragte am 14.12.2018 bei der Beklagten Altersrente für langjährige Versicherte ab dem 1.5.2019. Bereits im Januar 2019 schaltete sich ihr (jetziger) Prozessbevollmächtigter - ein Rentenberater - als Bevollmächtigter in das Verwaltungsverfahren ein, erweiterte den Antrag auf Rente wegen Alters auf eine "Altersrente wegen Schwerbehinderung" und beantragte zusätzlich "Erwerbsminderungsrente".
Die Beklagte gewährte der Klägerin Altersrente für langjährig Versicherte ab dem 1.5.2019 in Höhe von EUR 895,75 brutto. Die Entscheidung erging im Hinblick auf Rentenart und -höhe vorläufig (Bescheide vom 18. und 25.4.2019). Den Rentenbescheiden waren die Anlagen "Berechnung der Rente" (wonach sich der Zahlbetrag bei einem Zugangsfaktor von 0,898 aus persönlichen Entgeltpunkten von 27,9370, dem Rentenartfaktor von 1,0 und dem aktuellen Rentenwert von 32,03 Euro ermittelte) sowie "Versicherungsverlauf" und "Berechnung der persönlichen Entgeltpunkte" beigefügt.
Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin (nur) geltend, die Bescheide seien nicht nachvollziehbar. Es werde gebeten, nachvollziehbare Berechnungsunterlagen vorzulegen.
Mit Schreiben vom 21.5.2019 übersandte die Beklagte der Klägerin erneut die Bescheide vom 18. und 25.4.2019, dieses Mal "inklusive aller Berechnungsunterlagen". Beigefügt waren nun auch die weiteren Anlagen "Berechnung der Entgeltpunkte aus den Beitragszeiten", "Berechnung der Entgeltpunkte aus beitragsfreien und beitragsgeminderten Zeiten" und "Versorgungsausgleich".
Nachdem die Klägerin mitgeteilt hatte, dass ein Schwerbehindertenausweis nicht vorgelegt werden könne, bewilligte die Beklagte für den Zeitraum vom 1.1. bis zum 30.4.2019 Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe von EUR 1.036,16 brutto (Bescheid vom 8.7.2019) und berechnete auf dieser Basis die Altersrente für langjährig Versicherte (rückwirkend) ab dem 1.5.2019 neu (Bescheid vom 7.8.2019).
Die Klägerin erklärte sodann den gegen die Bescheide vom 18. und 25.4.2019 erhobenen Widerspruch für erledigt: Nach detaillierter Mitteilung der Berechnungsunterlagen habe geklärt werden können, dass die Berechnung der Rente und die Bewertung bzw. Nichtbewertung der einzelnen rentenrechtlichen Zeiten korrekt sei; sie bitte nunmehr um Entscheidung über die Kosten für das Widerspruchsverfahren (Schreiben vom 2.9.2019). Die Beklagte entschied, dass Kosten nicht erstattet werden: Der Widerspruch sei nicht erfolgreich gewesen. Überdies seien die Bescheide bereits vor der Übersendung der weiteren Anlagen mit einer ausreichenden Begründung versehen gewesen; die spätere Übersendung der weiteren Anlagen sei für die Kostenerstattung unbeachtlich (Bescheid vom 30.9.2019; Widerspruchsbescheid vom 25.11.2019).
Mit ihrer Klage vom 13.12.2019 hat die Klägerin begehrt, der Beklagten die Kosten für das Widerspruchsverfahren aufzuerlegen. Die im ursprünglichen Verfahren angefochtenen Altersrentenbescheide genügten in ihrem zunächst bekannt gegebenen Umfang den gesetzlichen Anforderungen an eine Begründung nicht, da ihnen nicht alle zu einer Prüfung notwendigen Berechnungsgrundlagen entnommen werden konnten. Die zunächst fehlenden Unterlagen enthielten wesentliche Elemente für die Berechnung der Rentenhöh...