Entscheidungsstichwort (Thema)

Bewertung eines insulinpflichtigen Diabetes mellitus im Schwerbehindertenrecht

 

Orientierungssatz

1. Eine insulinpflichtige Blutzuckererkrankung ist nach Teil B Nr. 15.1 VersMedV nur dann mit einem GdB von 50 zu bewerten, wenn die an Diabetes erkrankte Person eine Insulintherapie mit täglich mindestens vier Insulininjektionen durchführen muss, wobei die Insulindosis in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung selbständig variiert werden muss und der erkrankte Mensch durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt ist.

2. Ein Therapieaufwand von täglich vier Insulininjektionen mit einer Anpassung der Dosis ist hierzu nicht ausreichend.

3. Liegen auch keine schwerwiegenden Folgeerkrankungen, wie z. B. eine Polyneuropathie, vor, so ist die Diabeteserkrankung allenfalls mit einem GdB von 40, nicht jedoch von 50 zu bewerten.

 

Normenkette

VersMedV Teil B Nr. 15.1; SGB IX § 2 Abs. 1, § 69 Abs. 1 Sätze 1, 4, § 70 Abs. 2, § 159 Abs. 7, § 69 Abs. 1 S. 5 Fassung: 2008-09-22; SGG § 160 Abs. 2

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 16.11.2017; Aktenzeichen B 9 SB 64/17 B)

 

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der am 00.00.1970 geborene Kläger begehrt einen Grad der Behinderung von 50 aufgrund seiner insulinpflichtigen Blutzuckererkrankung.

Am 21.10.2014 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Zuerkennung eines Grades der Behinderung aufgrund seiner Diabetes Erkrankung. Er teilte mit, dass er selbst mindestens viermal pro Tag und zusätzlich abhängig von den Aktivitäten und Befunden den Blutzucker messen müsse. Darüber hinaus setze er Insulin sowohl nach einem festen Plan als auch berechnet nach dem jeweiligen Blutzuckerwert. Er habe Einschränkungen in seiner Lebensführung, etwa Einschränkungen bei der Nachtruhe, da er den Blutzucker gegebenenfalls auch sehr spät noch einmal messen müsse, fehlenden Genuss bei Mahlzeiten, Angst vor Folgeerkrankungen, daher häufiges Messen, aufwändig zu planende Geschäfts- und Urlaubsreisen, Unterbringung der Messungen im beruflichen Alltag, Empfindungsstörungen sowie regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen.

Mit Bescheid vom 18.12.2014 stellte die Beklagte einen Grad der Behinderung von 40 aufgrund einer insulinpflichtigen Zuckerkrankheit fest. Dagegen richtete sich der Widerspruch vom 20.12.2014. Der Kläger führte aus, der Grad der Behinderung sei zu niedrig festgesetzt. Der therapeutische Aufwand, um den Blutzuckerspiegel stabil zu halten, bedeute eine extreme Behinderung. Angst vor Folgeschäden sei ein täglicher Begleiter; sein Vater sei im Alter von 60 Jahren unter anderem an den Folgeschäden einer Diabetes-Erkrankung verstorben. Um Folgeerkrankungen vorzubeugen, messe er häufig, mindestens viermal an normalen Tagen, im Sommer oder beim Sport häufiger. Seine Fingerkuppen seien durch die Entnahme strapaziert. Im Alltag beschäftige er sich fast ausschließlich mit der Erreichung guter Blutzuckerwerte. Er bevorzuge daher bekannte Gerichte und habe entsprechend Nachteile, unbeschwert neue Gerichte zu probieren. Dies sei speziell auf Reisen ein großes Problem. Er müsse als Projektmanager häufig reisen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 03.03.2015 wies die Bezirksregierung Münster den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Bezirksregierung wies darauf hin, dass bei der Beurteilung des Grades der Behinderung nicht berücksichtigt werde, ob die bestehende Beeinträchtigung in einem bestimmten Beruf besonders hinderlich sei. Dies gelte auch für bevorzugte Freizeitaktivitäten.

Dagegen hat der Kläger am 31.03.2015 bei dem Sozialgericht Aachen Klage erhoben. Das Sozialgericht hat Befundberichte von dem behandelnden Augenarzt Dr. L sowie dem behandelnden Hausarzt Dr. E eingeholt. Der Augenarzt kam zu der Einschätzung, dass aus augenärztlicher Sicht ein Grad der Behinderung nicht zuzusprechen sei. Der Hausarzt berichtete, dass es weder zu Krankenhausaufenthalten noch zu Arbeitsunfähigkeitstagen wegen Diabetes gekommen sei. Es bestehe ein Diabetes mellitus Typ I mit Augenkomplikationen, der Diabetes sei nicht als entgleist zu bezeichnen. Der Patient messe selbst viermal täglich, zum Teil auch häufiger, den Blutzucker. Die Spritzstellen seien ohne Befund. Die aktuell erhobenen Stoffwechselbefunde lägen im Normbereich.

Ferner hat das Sozialgericht ein Gutachten des internistischen Sachverständigen Dr. Q eingeholt. Dieser hat aufgrund einer am 07.08.2015 durchgeführten ambulanten Untersuchung einen Diabetes mellitus Typ I diagnostiziert; die Blutzucker-Langzeitwerte lägen im Normbereich. Es gebe an den unteren Gliedmaßen keine Störung der Oberflächensensibilität. Hinweise auf eine Polyneuropathie seien nicht gegeben. Es liege eine stabile Stoffwechsellage vor. Es komme zu Unterzuckerungen, die jedesmal aber mit Traubenzucker abgefangen werden könnten. Hinweise auf erhebliche Einsc...

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