Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II bzw Sozialgeld. Mehr- bzw Zusatzkosten für kieferorthopädische Behandlung. Nichtanwendung der Härteregelung des BVerfG. kein unabweisbarer laufender besonderer Bedarf. keine Überprüfung der Notwendigkeit der medizinischen Behandlung durch Grundsicherungsträger. kein Anspruch auf Hilfe nach § 73 SGB 12

 

Orientierungssatz

1. Für die Übernahme der Kosten von ergänzenden Behandlungsmaßnahmen - über die von der gesetzlichen Krankenversicherung abgedeckte kieferorthopädische Behandlung hinaus - fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage. Ein Anspruch besteht weder nach der Härteregelung des BVerfG (vgl BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua = BVerfGE 125, 175 = SGb 2010, 227) noch aufgrund eines unabweisbaren laufenden besonderen Bedarfs gem § 21 Abs 6 SGB 2 in der ab 3.6.2010 geltenden Fassung.

2. Der Träger der Grundsicherung kann ohne weitere Ermittlungen davon ausgehen, dass die notwendige kieferorthopädische Versorgung durch die gesetzliche Krankenversicherung erfolgt und grundrechtsrelevante Beeinträchtigungen durch eine nicht ausreichende Krankenbehandlung ausscheiden. Gesetzliche oder auf Gesetz beruhende Leistungsausschlüsse und Leistungsbegrenzungen nach dem SGB 5 können nur innerhalb dieses Leistungssystems daraufhin überprüft werden, ob sie im Rahmen des Art 2 GG gerechtfertigt sind. Die Frage, ob die Kosten für eine aufwändigere kieferorthopädische Behandlung übernommen werden, muss der Hilfebedürftige gegenüber seiner Krankenkasse klären.

3. Der Anspruch lässt sich mangels atypischer Bedarfs- bzw Lebenslage auch nicht aus § 73 SGB 12 ableiten.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 12.12.2013; Aktenzeichen B 4 AS 6/13 R)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 07.02.2011 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt im Berufungsverfahren noch die Übernahme der Kosten für spezielle kieferorthopädische Behandlungen als Zuschuss in Höhe von 928,11 Euro.

Die 1996 geborene Klägerin bezog zusammen mit ihren Eltern bis zum 31.05.2012 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Durch Bescheid vom 24.08.2009 (Änderungsbescheide vom 01.10.2009, 09.08.2010) bewilligte der Beklagte ihr diese für den Zeitraum von Dezember 2009 bis Mai 2010 (87,00 Euro Regelleistung und 264,56 Euro Kosten der Unterkunft und Heizung monatlich).

Unter dem 18.11.2009 erteilte die zuständige Krankenkasse die Zusage, die Kosten für die von der Klägerin beantragten kieferorthopädischen Behandlung auf der Grundlage des vorgelegten Heil- und Kostenplans vom 22.09.2009, der ein Kostenvolumen von 2380,30 Euro auswies, zu übernehmen; damit seien alle medizinisch notwendigen Leistungen der Behandlung abgegolten. Sollte die Klägerin sich für darüber hinausgehende Privatleistungen entscheiden, seien die Mehrkosten selbst zu tragen. Den Eigenanteil von 20 Prozent werde sie erstatten, wenn der Erfolg der Behandlung durch Vorlage einer entsprechenden Bescheinigung nachgewiesen sei.

Die Kosten wurden von der Krankenkasse getragen, die Erstattung des Eigenanteils erwartet die Klägerin mit Abschluss der Behandlung Anfang 2013.

Mit Schreiben vom 13.01.2010 beantragte die Klägerin die Übernahme der Kosten für eine kieferorthopädische Behandlung in Höhe von 1079,59 Euro als Beihilfe und 445,77 Euro als Darlehen. Dabei handelte es sich zum einen (1079,59 Euro) um Kosten für von der behandelnden Kieferorthopädin als notwendig erachteten Zusatzleistungen, die von der Krankenkasse nicht übernommen wurden. Die darlehnsweise Übernahme (445,77 Euro) hingegen bezog sich auf den von der Klägerin zu zahlenden Eigenanteil, der nach erfolgreichem Abschluss der Behandlung von der Krankenkasse zurückgezahlt würde.

In einem ergänzenden Heil- und Kostenplan vom 06.10.2009 führte die Kieferorthopädin ergänzende Behandlungsmaßnahmen auf, die sie für notwendig erachte, die von der gesetzlichen Krankenkasse aber nicht erbracht werden dürften. Die Kosten für die aufgeführten Maßnahmen (Mehrkosten für vollprogrammiertes Band-Bracket-System, ungeteilte thermoelastische Bögen, Mundhygienekontrollen, Entfernen harter und weicher Zahnbeläge, zusätzliche Abformung beider Kiefer, Befunderhebung des stomatogyn. Systems, Registrierung der Zentrallage, Modellmontage Übertragungsbogen, Montage des Gegenkiefermodell) beliefen sich insgesamt auf 871,11 Euro, die zusätzlichen Labor- und Materialkosten auf 57,00 Euro. Mit Schreiben vom 30.11.2009 bestätigte sie der Klägerin, der Bescheid der Krankenkasse sei korrekt und nicht zu beanstanden. Die im ergänzenden Behandlungsplan aufgeführten Behandlungsmaßnahmen seien nicht im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkasse enthalten und könnten somit nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenkasse erbracht werden. Die aufgeführten Behandlungsmaßnahmen seien aber medizinisch notwendig im Rahmen der geplanten umfassenden kieferorthopädischen Behandlung.

Mit B...

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