Orientierungssatz
1. Ohne eine Unterschrift handelt es sich bei einem als Gerichtsbescheid bezeichneten Schriftstück lediglich um einen Entwurf, vergleichbar mit dem Entwurf eines Urteils, das noch nicht verkündet ist.
2. Der Bruch der qualifizierten elektronischen Signatur hat die Formunwirksamkeit des Dokuments zur Folge, da ein bereits mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehenes elektronisches Dokument nicht mehr geändert werden darf.
3. Wenn keine nachvollziehbare Dokumentation des gesamten Vorgangs in der führenden Papierakte erfolgt und die Signatur vor der Zustellung gebrochen worden ist, kommt auch keine Heilung eines sog binnenjustiziellen Formmangels in Betracht.
4. Wird bei einem ordnungsgemäß signierten Schriftstück mit entsprechender ordnungsgemäßer Dokumentation der Signatur iS von §§ 65a Abs 4, 134 Abs 3 SGG lediglich vergessen, den Namen der verantwortenden Person hinzuzufügen, wird hierdurch noch keine sog Scheinentscheidung erzeugt (vgl LSG Stuttgart vom 17.9.2021 - L 8 SB 1856/20 ).
5. Bei der erfolgten Feststellung des Vorliegens eines Scheingerichtsbescheides handelt es sich nur um ein unwesentliches Obsiegen, welches auch vom Beklagten nicht veranlasst worden ist, und daher keine (anteilige) Pflicht zur Kostentragung begründen kann.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird festgestellt, dass das als Gerichtsbescheid bezeichnete Schriftstück des Sozialgerichts Düsseldorf vom 19.04.2022 keine wirksame Entscheidung über die Klage vom 28.03.2017 ist.
Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtswidrigkeit einer abgelehnten Kostenübernahme für einen orthopädischen Bürostuhl im Rahmen einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben.
Der am 00.00.1964 geborene Kläger bezog vom 01.10.2016 bis zum 30.09.2019 zunächst Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit (Bewilligungsbescheid der Beklagten vom 19.07.2017). Seit dem 01.10.2016 bezieht er eine Rente wegen voller Erwerbsminderungsrente auf Dauer (Bewilligungsbescheid der Beklagten vom 18.07.2019).
Am 01.06.2016 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Kostenübernahme für einen orthopädischen Bürostuhl mit Nackenstütze im Rahmen einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben.
Nach Einholung von Befundberichten der den Kläger behandelnden Allgemeinmedizinerin lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 15.07.2016 ab, weil er die persönlichen Voraussetzungen für die beantragte Leistung nicht erfülle und ein ergonomischer Bürostuhl ausreichend sei. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte nach Beiziehung des Entlassungsberichts über eine stationäre Rehabilitationsbehandlung des Klägers sowie nach Einholung eines Befundberichtes des behandelnden Neurochirurgen mit Widerspruchsbescheid vom 22.03.2017 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie ergänzend an, dass die begehrten Ausstattungsmerkmale für den beantragten Bürostuhl mit denen eines ergonomischen Bürostuhls vergleichbar bzw. identisch seien.
Dagegen hat der Kläger am 28.03.2017 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf erhoben und sein Vorbringen vertieft. Hinsichtlich seines Hilfsantrags bestehe unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten sowie wegen einer Wiederholungsgefahr ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse.
Der Kläger hat schriftsätzlich beantragt,
1. die Beklagte zu verpflichten, ihm Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form einer Kostenübernahme für einen orthopädischen Bürostuhl zu bewilligen.
2. hilfsweise festzustellen, dass der Bescheid der Beklagten vom 15.07.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.03.2017 rechtswidrig gewesen ist.
3. festzustellen, dass der vorliegende Rechtsstreit rechtsstaatswidrig verzögert worden ist sowie
4. seine außergerichtlichen Kosten der Beklagten aufzuerlegen, wobei der Beizug eines Rechtsanwaltes für das Widerspruchverfahren erforderlich war.
Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das SG hat die Beteiligten mit Schreiben vom 24.01.2022 zur beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört. Sodann hat die Kammervorsitzende (KV) am 19.04.2022 einen Gerichtsbescheid verfasst und die Klage abgewiesen. Unter der Rechtsmittelbelehrung ist der Name der KV nicht vermerkt. Neben der führenden Papierakte hat das SG parallel eine elektronische Akte unter dem Aktenzeichen S 45 R 445/22 geführt. Darin ist das elektronische Dokument in der Ursprungsfassung von der KV signiert worden, auf dem unten abgebildeten Screenshot ist die Signaturnadel grün:
Am 21.04.2022 ist von der Serviceeinheit auf der ersten Seite dieses elektronischen Dokuments zunächst der Name der Regierungsbeschäftigten eingefügt und dann elektronisch ein Stempel über die Absendung des Gerichtsbescheids gegen Empfangsbekenntnis an den Kläger und die Beklagte angebracht worden. Dadurch ist die Signaturnadel grau geworden. Schließlich ist das elektronische Dokument foli...