Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsärztliche Versorgung. Entziehung der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung wegen gröblicher Verletzung der vertragsärztlichen Pflichten. Pflicht zur Abrechnung tatsächlich erbrachter Leistungen. Störung des Vertrauensverhältnisses. Erforderlichkeit ordnungsgemäßer Abrechnungen für die Wirtschaftlichkeitsprüfung. Zulassungsentziehung als ultima ratio

 

Orientierungssatz

1. Die Zulassung eines Arztes zur vertragsärztlichen Versorgung ist nach § 95 Abs 6 S 1 SGB 5 iVm § 27 S 1 Ärzte-ZV ua zu entziehen, wenn dieser seine vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt.

2. Zu den Pflichten eines Vertragsarztes gehört es, die von ihm erbrachten Leistungen offenzulegen und bei der Kassenärztlichen Vereinigung ordnungsgemäß abzurechnen (Anschluss an BSG vom 3.4.2019 - B 6 KA 4/18 R = BSGE 128, 26 = SozR 4-2500 § 95 Nr 36).

3. Gegen die Pflicht zur peinlich genauen Abrechnung verstößt nicht nur derjenige, welcher nicht erbrachte Leistungen abrechnet, sondern auch derjenige, der tatsächlich erbrachte Leistungen nicht oder nicht vollständig abrechnet.

4. Die Pflichtverletzung muss geeignet sein, das Vertrauensverhältnis zu den Krankenkassen nachhaltig zu stören.

5. Ohne ordnungsgemäße Abrechnungen können die in § 106 SGB 5 normierten Wirtschaftlichkeitsprüfungen nicht stattfinden.

6. Wegen der Schwere des Eingriffs ist die Entziehung stets ultima ratio. Die Entziehung darf daher nur ausgesprochen werden, wenn sie das einzige Mittel zur Sicherung und zum Schutz der vertragsärztlichen Versorgung ist (Anschluss an BSG vom 24.11.1993 - 6 RKa 70/91 = BSGE 73, 234 = SozR 3-2500 § 95 Nr 4).

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 11.03.2021; Aktenzeichen B 6 KA 41/20 B)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 25.01.2019 wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten auch im Berufungsrechtszug, jeweils mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen zu 1) bis 4) sowie 6) und 7). Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit des Entzugs der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung.

Der 1950 geborene Kläger ist Facharzt für Innere Medizin und in C in einer Einzelpraxis seit 1987 zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen.

Anfang August 2014 wandte sich die Bezirksstelle L der Beigeladenen zu 5) an den Kläger und bat um Mitteilung, ob er seine Tätigkeit (wieder) aufnehmen oder auf seine vertragsärztliche Zulassung verzichten wolle. Der Kläger teilte daraufhin mit, dass er seine ärztliche Tätigkeit nicht unterbrochen habe und fortsetzen wolle (Schreiben vom 7. September 2014). Zwar habe er seit 2010 keine bzw. keine vollständigen Abrechnungen mehr vorgelegt, da sein Bruder seitdem lebensbedrohlich erkrankt sei und intensiver medizinischer Betreuung bedurft habe. Als einziger Verwandter habe er neben dem laufenden Praxisbetrieb die Fürsorge für seinen Bruder nur sicherstellen können, indem er aus Zeitmangel auf administrative Tätigkeiten verzichtet habe. Hierzu habe auch die Abrechnung der Beigeladenen zu 5) gehört. Als sich der Gesundheitszustand seines Bruders gebessert und er seine Arbeitsabläufe wieder habe normalisieren wollen, habe er feststellen müssen, dass seine Praxis-EDV Abrechnungsquartale nicht habe überspringen können. Deshalb könne er keine aktuellen Abrechnungen mehr einreichen. Dass er seine ärztliche Tätigkeit zu keinem Zeitpunkt unterbrochen habe, lasse sich von Seiten der Beigeladenen zu 5) nachvollziehen; es lägen entsprechende Dokumente in großer Zahl vor (Rezepte, Überweisungen, Krankenhauseinweisungen, AU-Bescheinigungen sowie Abrechnungen aus dem Notdienst). In der Folgezeit verwies die Beigeladene zu 5) den Kläger darauf, dass er gemäß § 17 Abs. 1a) Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) mindestens 20 Stunden wöchentlich persönlich in Form von Sprechstunden zur Verfügung stehen müsse (Schreiben vom 16. September 2014). Die Nichtausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit könne dazu führen, dass die ausgesprochene Zulassung entzogen werde. Er werde nunmehr um die Einreichung der Abrechnung für das Quartal III/2014 bis zum 30. September 2014 gebeten. Der Kläger teilte daraufhin ergänzend mit, seine Praxis sei montags, dienstags und donnerstags von 8.00 bis 18:00 Uhr, mittwochs von 8.00 bis 13:00 Uhr und freitags von 8.00 bis 14:00 Uhr durch seine Mitarbeiterinnen und ihn besetzt und erreichbar (Schreiben vom 27. Februar 2015). Er selbst sei weit darüber hinaus noch in der Praxis tätig. Somit seien die geforderten 20 Wochenstunden mehr als erfüllt. Soweit Zweifel an der korrekten Ausführung seiner vertragsärztlichen Tätigkeit bestünden, biete er die Einsichtnahme in die fortlaufenden Patientendokumentationen, Laboranforderungen, Befunde von EKG's, Sonographien etc. an.

In seiner Sitzung vom 11. März 2015 beschloss der Zulassungsausschuss für Ärzte L, dass dem Kläger seine Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung als Facharzt für Innere Medizin in C zum 12. März 2015 von Amts wegen nach § 95 Abs. 6 Sozialges...

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