Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung. Steuerrückerstattung. Verteilung der einmaligen Einnahme ab dem Folgemonat auf sechs Monate. anderweitige Verwendung der Einnahme mit Zufluss zur Tilgung eines Dispositionskredits. Nichtvorliegen bereiter Mittel ab dem Beginn eines neuen Bewilligungszeitraums im Verteilzeitraum. keine Pflicht zur Aufnahme eines neuen Kredits. verfassungskonforme Auslegung
Orientierungssatz
1. Eine Einkommensteuerrückerstattung, die während des Bezugs von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende zugeflossen ist und gemäß § 11 Abs 3 SGB 2 als einmalige Einnahme auf einen sechsmonatigen Verteilzeitraum aufgeteilt wurde, kann bei Beginn eines neuen Bewilligungszeitraums während des Verteilzeitraums nicht mehr als fiktives Einkommen bedarfsmindernd berücksichtigt werden, soweit sie sofort nach Zufluss von der Bank im Rahmen einer Kontokorrentabrede zur Schuldentilgung verrechnet wurde und insofern nicht mehr als bereite Mittel zur Bedarfsdeckung zur Verfügung steht.
2. Der Leistungsberechtigte kann aufgrund der hohen Zinsbelastung nicht auf die erneute Inanspruchnahme eines Dispositionskredits aufgrund weiterbestehender Kontokorrentabrede zur Bestreitung seines Lebensunterhalts als "bereites Mittel" verwiesen werden, wenn er zuvor zugeflossenes Einkommen zur Rückführung des Kontosolls verwendet hat.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers zu 1) und der Klägerin zu 2) wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 14.06.2018 insoweit geändert, dass der Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 25.10.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.02.2017 in der Fassung des Teilanerkenntnisses vom 12.09.2019 verurteilt wird, dem Kläger zu 1) und der Klägerin zu 2) Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II ohne Anrechnung eines Einkommens des Klägers zu 1) für die Zeit vom 01.06.2016 bis 30.09.2016 nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu gewähren. Der Beklagte trägt die Kosten des Klägers zu 1) und der Klägerin zu 2). Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger zu 1) und die Klägerin zu 2) begehren die Gewährung höherer Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.06.2016 bis 30.09.2016.
Der 1982 geborene Kläger zu 1) ist deutscher Staatsangehöriger. Im Jahr 2016 war er abhängig beschäftigt. In der Zeit vom 20.04.2016 bis 04.12.2017 befand er sich in Elternzeit. Die monatliche Bruttowarmmiete seiner Wohnung belief sich bis zum 30.09.2016 auf 343,28 EUR. Das Warmwasser wurde zentral erzeugt.
Am 08.02.2016 reisten die drei Kinder des Klägers, die Kläger zu 2) bis zu 4) (geboren 2001, 2009, 2013), in die Bundesrepublik ein. Ab April 2016 bezog der Kläger zu 1) laufend Kindergeld i.H.v. insgesamt 576,00 EUR monatlich. Weiterhin erhielt er monatliche Leistungen nach dem UhVorschG für den Kläger zu 3) i.H.v. 194,00 EUR sowie für den Kläger zu 4) i.H.v. 145,00 EUR.
Der Kläger zu 1) verfügte über zwei Girokonten und hatte im Jahr 2015 einen Ratenkredit aufgenommen. Auf beiden Girokonten war ihm ein Dispositionskredit bis zum 30.09.2016 eingeräumt. Beide Girokonten wiesen im Jahr 2016 durchgehend ein Debet auf. Am 07.03.2016 erfolgte die Gutschrift einer Einkommensrückerstattung i.H.v. 2.382,92 EUR auf das Girokonto des Klägers zu 1) bei der D-bank. Nach der Gutschrift wies das Girokonto ein Debet von 356,92 EUR auf. Die Kontostände auf dem Girokonto bei der D-bank betrugen:
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31.05 - 1.472,12 EUR |
30.06 - 2.314,52 EUR |
31.07 - 2.262,26 EUR |
31.08 - 2.673,34 EUR |
Dem Kläger zu 1) war für dieses Konto ein Dispositionskredit i.H.v. 3.100,00 EUR eingeräumt. Der Zinssatz für die Inanspruchnahme eines Dispositionskredits belief sich auf 12,55 %. Der Zinssatz für die Inanspruchnahme eines Dispositionskredits bei der Postbank betrug im Jahr 2016 10,55 % p.a.
Mit Bescheid vom 11.05.2016 bewilligte der Beklagte den Klägern abschließend Grundsicherungsleistungen für die Zeit vom 01.02.2016 bis 31.03.2016 i.H.v. insgesamt 963,83 EUR, für April 2016 i.H.v. 0,00 EUR und für Mai 2016 i.H.v. insgesamt 762,57 EUR. Auf den Gesamtbedarf der Kläger rechnete der Beklagte u.a. in der Zeit vom 01.04.2016 bis 31.05.2016 die Steuererstattung i.H.v. 367,15 EUR (397,15 EUR - 30,00 EUR) monatlich als sonstiges Einkommen an.
Mit Bescheid vom 25.05.2016 bewilligte der Beklagte dem Kläger zu 1) und der Klägerin zu 2) unter Berufung auf § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i. V. m. § 328 Abs. 2 SGB III vorläufig Grundsicherungsleistungen für die Zeit vom 01.06.2016 bis 30.09.2016 i.H.v. insgesamt 423,57 EUR monatlich, für Oktober 2016 i.H.v. 478,45 EUR und für November 2016 i.H.v. 0,00 EUR. Auf den Bedarf der beiden Kläger rechnete der Beklagte u. a. als sonstiges Einkommen die Steuererstattung i.H.v. 397,15 EUR monatlich für die Zeit vom 01.06.2016 bis 30.09.2016 an.
Mit Bescheid vom 25.10.2016 bewilligte der Beklagte dem Kläger zu 1) und der Klägerin zu 2) Grundsicherungsleistungen...