Entscheidungsstichwort (Thema)

Rentenversicherung. keine Befreiung eines freiberuflich tätigen Rechtsanwalts von der Versicherungspflicht in seiner berufsfremden Nebentätigkeit als Lehrstuhlvertreter

 

Orientierungssatz

Ein in seiner Hauptbeschäftigung nicht der Rentenversicherungspflicht unterworfener freiberuflich tätiger Rechtsanwalt erfüllt nicht die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Versicherungspflicht in seiner berufsfremden Nebenbeschäftigung als Lehrstuhlvertreter.

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 23.03.2012 abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Kläger für eine Tätigkeit als Lehrstuhlvertreter an der Universität L vom 01.04.2010 bis zum 16.07.2010 von der Versicherungspflicht zu befreien ist.

Der Kläger ist als freiberuflicher Rechtsanwalt tätig. Darüber hinaus übte er in der Vergangenheit mehrfach eine Tätigkeit als Lehrstuhlvertreter aus. Für diese Tätigkeiten befreite ihn die Beklagte von der Versicherungspflicht. Am 21.03.2010 beantragte der Kläger erneut die Befreiung von der Versicherungspflicht für eine Vertretungsprofessur für das Fachgebiet "Öffentliches Recht, Umwelt- und Technikrecht" mit halbem Lehrdeputat vom 01.04.2010 bis zum 16.07.2010 an der Universität L. Der Kläger erhielt eine monatliche Pauschalvergütung in Höhe von 2.100,00 EUR. Im Antragsformular gab der Kläger an, als Lehrstuhlvertreter aushilfsweise, aber nicht berufsspezifisch, bei der Universität L angestellt zu sein. Auf Grund seiner freiberuflichen Tätigkeit als Rechtsanwalt sei er Pflichtmitglied in der Rechtsanwaltskammer E. Die Einkünfte aus der Lehrstuhlvertretung, die wöchentlich einen Arbeitsaufwand von ca. acht bis zehn Stunden erfordere, seien von untergeordneter Bedeutung. Die Beigeladene zu 2 bestätigte mit Datum vom 18.05.2010, dass der Kläger kraft Gesetzes Mitglied des Versorgungswerkes sei.

Mit Bescheid vom 02.07.2010 lehnte die Beklagte den Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung ab. Von einer versicherungspflichtigen berufsfremden Nebentätigkeit könne nur befreit werden, wer auch in seiner Haupttätigkeit von der Versicherungspflicht befreit worden sei. Als selbständiger Rechtsanwalt unterliege der Kläger nicht der Versicherungspflicht, so dass eine Befreiung für diese berufsspezifische Tätigkeit weder möglich noch erforderlich sei.

Der Kläger legte am 22.07.2010 Widerspruch ein. Er vertrat die Auffassung, § 6 Abs 5 S 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) solle für eine zeitlich im Voraus befristete Nebentätigkeit wie § 6 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB VI verhindern, dass Beschäftigte oder selbstständig Tätige, die kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied eines berufsständischen Versorgungswerks seien, mit einer doppelten Beitragspflicht belastet würden. Die Rechtsauffassung der Beklagten führe zu Ergebnissen, die mit grundrechtlichen Gewährleistungen (Artikel 12 Abs 1 i.V. m. Artikel 3 Abs 1 Grundgesetz - GG -) nicht zu vereinbaren seien. Selbständige Rechtsanwälte, die einer zeitlich befristeten berufsfremden Nebentätigkeit nachgingen, würden mit Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung belastet, während abhängig beschäftigte Rechtsanwälte im Hinblick auf eine identischen Nebentätigkeit in den Genuss einer Befreiung kämen. Eine derartige Ungleichbehandlung entbehre jeder sachlichen Rechtfertigung. Durch Widerspruchsbescheid vom 11.11.2010 wies die Beklagte den Widerspruch aus den Gründen des angefochtenen Bescheides als unbegründet zurück. Ergänzend führte sie aus, eine Befreiung nach § 6 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB VI komme für die Beschäftigung an der Universität L nicht in Betracht, denn es handele sich nicht um eine berufsspezifische anwaltliche Beschäftigung.

Der Kläger hat am 06.12.2010 Klage erhoben. Er erfülle die Voraussetzungen des § 6 Abs 1 Nr 1 SGB VI. Er übe eine - vor dem 01.01.1995 aufgenommene - selbständige Tätigkeit aus und sei Mitglied der Rechtsanwaltskammer I sowie des berufsständischen Versorgungswerkes der Rechtsanwälte im Lande NRW. § 6 Abs 5 S 1 SGB VI solle sicherstellen werden, dass eine vorübergehende berufsfremde Tätigkeit nicht zu einem Wechsel der Alterssicherungssysteme führe. Folge man dem System der Beklagten, käme das Ziel der Einheitlichkeit der Alterssicherung nicht zum Zuge. Für die gegenteilige Meinung spreche nicht zuletzt der untergeordnete Zeitaufwand für die streitige Nebentätigkeit. Die Lehrtätigkeit sei auch als rechtsvermittelnde Tätigkeit berufsspezifisch und liege im Bereich der Rechtswissenschaften. Die im Sommersemester 2010 gehaltenen Lehrveranstaltungen seien Teil des Masterstudiengangs "Wirtschaftsrecht" gewesen.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 02.07.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.11.2010 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihn von der Versicherungspflicht für die Lehr...

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