Entscheidungsstichwort (Thema)
Rentenversicherung. selbständiger tätiger Rechtsanwalt. versicherungsfreie Haupttätigkeit. Befreiung für zeitlich befristete berufsfremde Nebentätigkeit (hier: Dozententätigkeit an einer Universität). Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
1. Auch ein in seiner Hauptbeschäftigung als selbständig tätiger Rechtsanwalt grundsätzlich nicht Rentenversicherungspflichtiger kann sich für eine befristete, berufsfremde Nebenbeschäftigung (hier: Dozententätigkeit an einer Universität) auf Antrag unter den Voraussetzungen des § 6 Abs 5 S 2 SGB 6 von der Rentenversicherungspflicht für die Nebenbeschäftigung befreien lassen.
2. Die Befreiungsmöglichkeit für die Nebentätigkeit steht auch im Einklang mit Art 3 Abs 1 GG.
Tenor
Der Bescheid der Beklagten vom 02.07.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.11.2010 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, den Kläger von der Versicherungspflicht für die Lehrstuhltätigkeit an der Universität L. vom 01.04.2010 bis 16.07. 2010 zu befreien.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger als Lehrstuhlvertreter an der Universität L. von der Versicherungspflicht zu befreien ist.
Der Kläger ist selbständig und freiberuflich tätiger Rechtsanwalt. In der Vergangenheit war der Kläger mehrfach, zeitlich auf die Vorlesungszeit begrenzt, als Lehrstuhlvertreter an der Universität L. tätig, zuletzt vom 01.10.2009 bis 12.02.2010. Für diese Tätigkeit befreite die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und nachfolgend die Beklagte den Kläger jeweils von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 5 S. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI).
Mit Schreiben vom 18.04.2010, gerichtet an das Versorgungswerk der Rechtsanwälte im Lande Nordrhein-Westfalen zur Weitergabe an die Beklagte, beantragte der Kläger für eine (Anschluss-)Lehrstuhlvertretung vom 01.04.2010 bis 16.07.2010 an der Universität L. erneut die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. Der Kläger begründete den Antrag mit seiner gesetzlichen Pflichtmitgliedschaft in der Rechtsanwaltskammer Düsseldorf und seiner Pflichtmitgliedschaft in dem Versorgungswerk der Rechtsanwälte im Lande Nordrhein-Westfalen. Beigelegt war dem Antrag ein Schreiben der Universität L. vom 03.03.2010, in dem dem Kläger eine Vertretungsprofessur mit halbem Lehrdeputat für das Fachgebiet „Öffentliches Recht, Umwelt- und Technikrecht“ für die Zeit vom 01.04.2010 bis 16.07.2010 übertragen wird. Auf Nachfrage der Beklagten teilte der Kläger mit, dass die zeitliche Belastung für die Lehrstuhlvertretung bei vier Semesterwochenstunden, mitsamt Vorbereitung der Veranstaltungen etwa bei acht bis zehn Stunden in der Woche liege. Im Schwerpunkt sei er (weiterhin) als Rechtsanwalt freiberuflich tätig. Mit Bescheid vom 02.07.2010 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Befreiung von der Versicherungspflicht ab. Die Befreiung für eine zeitlich im Voraus befristete berufsfremde Nebenbeschäftigung setze voraus, dass in der Vergangenheit eine Befreiung für eine berufsständische Hauptbeschäftigung gem. § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI erteilt worden sei, die im Hinblick auf die berufsspezifische Hauptbeschäftigung noch aktuell wirksam sei. Da der Kläger als selbständiger Rechtsanwalt nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung unterliege, sei eine Befreiung für die berufsspezifische Tätigkeit weder möglich noch erforderlich.
Der Kläger legte hiergegen Widerspruch ein und machte geltend, dass es in der Vergangenheit bereits mehrfach Befreiungen für seine Lehrstuhlvertretungen gegeben habe. Die Beklagte habe den Regelungszweck des § 6 SGB VI zu beachten, wonach Doppelversorgungen vermieden werden sollten. Hier sei auf die Teleologie Rückgriff zu nehmen. Auch liege mit Blick auf Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) eine Ungleichbehandlung zu abhängig beschäftigten Rechtsanwälten vor, die sich befreien lassen könnten. Mit Widerspruchsbescheid vom 11.11.2010 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Ergänzend zu ihrem Vorbringen im ablehnenden Bescheid vom 02.07.2010 macht die Beklagte im Widerspruchsbescheid mit Blick auf § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI geltend, dass es sich bei der Lehrstuhlvertretung um keine berufsspezifische anwaltliche Beschäftigung handele.
Hiergegen hat der Kläger durch seinen Bevollmächtigten am 06.12.2010 Klage erhoben. Die Klägerseite weist ergänzend zu ihrem Vorbringen im Verwaltungsverfahren darauf hin, dass eine Befreiung zu erteilen sei, wenn bereits anderweitig die Versorgung - wie im Falle des Klägers - gesichert sei. Ziel sei die Einheitlichkeit der Alterssicherung. Auch entspreche die Lehrtätigkeit dem Berufsbild des Rechtsanwalts.
Der Klägerbevollmächtigte beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 02.07.2010 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 11.11.2010 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Kläge...