Entscheidungsstichwort (Thema)
Ermessen. Ermessensfehler. Abwägungsdefizit. Versorgung in einem Krankenhaus in einem anderen Mitgliedstaat
Leitsatz (redaktionell)
1. Wenn die Behörde in ihren Ablehnungsbescheiden noch nicht einmal einen der vom Versicherten vorgetragenen Punkte erwähnt, kann von einer Auseinandersetzung oder Abwägung keine Rede sein, so dass mithin ein Abwägungsdefizit vorliegt.
2. Die Rechtsprechung des EuGH, wonach Regelungen, die die Übernahme der Kosten für die Versorgung in einem Krankenhaus in einem anderen Mitgliedstaat davon abhängig machen, dass die Krankenkasse eine vorherige Zustimmung erteilt, unter bestimmten Voraussetzungen mit dem EG-Recht vereinbar sind, und dass aus diesem Grund der Gesetzgeber die Versagung der Zustimmung nur zugelassen hat, wenn der Versicherte eine notwendige stationäre medizinische Behandlung im Inland nicht oder nicht rechtzeitig erhalten kann, oder er während eines Aufenthalts im EG- bzw. EWR-Ausland (bzw. in der Schweiz) auf eine unverzügliche entsprechende Behandlung angewiesen ist, entbindet die Krankenkasse jedoch nicht davon, sich mit den individuell vorgebrachten Argumenten auseinanderzusetzen.
Normenkette
SGG § 54 Abs. 2 Sätze 1-2; SGB I § 39; SGB V § 13 Abs. 4-5; SGB § 34 Abs. 1 S. 1
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 30.5.2018 geändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 12.7.2016, des Bescheids vom 10.11.2016 und des Widerspruchsbescheids vom 15.6.2017 verurteilt, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Kostenerstattung für eine in der Schweiz durchgeführte Knie-TEP-Operation und die sich anschließende Rehabilitation.
Der 00.00.0000 geborene Kläger ist bei der Beklagten gegen Krankheit freiwillig versichert. In der Schweiz unterhält er einen Zweitwohnsitz.
Am 08.07.2016 teilte der Kläger einem Mitarbeiter der Beklagten telefonisch mit, er plane eine Knie-TEP-Operation und wolle diese beim Arzt seines Vertrauens in der Schweiz durchführen lassen. Einen schriftlichen Antrag werde er noch stellen. Die Beklagte schrieb dem Kläger am 12.07.2016, die Kosten für die Implantation einer Knie-TEP nur in ihrem Geschäftsgebiet übernehmen zu können. Denn im Wohnumfeld des Klägers böten zahlreiche Krankenhäuser und Universitätskliniken die geplante stationäre Leistung an.
Der Kläger führte dazu am 20.07.2016 aus, sowohl die von ihm in Betracht gezogene Klinik als auch die Reha-Klinik lägen nur wenige Kilometer von seinem Zweitwohnsitz entfernt. Die Versorgung in der Schweiz gehöre zu den Besten. Da er Schmerzen habe und sein Knie bei ihm in der Region kaputt operiert worden sei, sei die Schweiz für die geplante Operation definitiv der richtige Ort. Er habe in Deutschland mit mehreren "so genannten" Spezialisten gesprochen und festgestellt, dass meistens in der Ausbildung befindliche Ärzte operierten. In der Schweiz operiere der behandelnde Arzt. Zusätzlich werde man in Schweizer Krankenhäusern optimal versorgt. Sein letzter Krankenhausaufenthalt in Deutschland sei so erschreckend gewesen, dass er durch Zuzahlung auf die Privatstation ausgewichen sei. Zudem gebe es im rheinischen und oberbergischen Raum viele Krankenhauskeime. Die Zustände in deutschen Krankenhäusern hätten jüngst zu einem Todesfall in der Familie geführt. Daher erbitte er die Genehmigung für eine Operation in der Schweiz. Eventuelle Mehrkosten werde er übernehmen.
Am 25.10.2016 reichte der Kläger einen Kostenvoranschlag für einen zehntägigen stationären Aufenthalt in der L. Klinik in Speicher (Schweiz) zu CHF 42.410 sowie einen Kostenvoranschlag für eine anschließende Reha in der Klinik T. (Schweiz) zu 750 CHF pro Therapietag ein.
Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung Nordrhein (MDK) führte nach Aktenlage am 27.10.2016 aus, es gebe keine Hinweise auf eine außergewöhnliche medizinische Befundsituation. Eine Knie-TEP könne in allen entsprechend operativ tätigen orthopädischen Krankenhausabteilungen in Wohnortnähe, z.B. in Ü. oder Q., eingesetzt werden.
Mit Bescheid vom 10.11.2016 lehnte die Beklagte den Antrag auf Zustimmung zu der begehrten stationären Krankenhausbehandlung in der Schweiz ab. Die Zustimmung könne verweigert werden, wenn der Versicherte die Behandlung auch in Deutschland erhalten könne. Nach den Ermittlungen des MDK könne eine Knie-TEP in Vertragskrankenhäusern in G., K., F. oder Ü. eingesetzt werden.
Der Kläger ließ die geplante Operation während eines stationären Krankenhausaufenthaltes vom 14.11.2016 bis 25.11.2016 in der L. Klinik in Speicher durchführen. Anschließend absolvierte er die Reha vom 25.11.2016 bis 08.12.2016 in der Klinik T..
Mit E-Mail vom 19.12.2016 erklärte der Kläger, mit der Ablehnung nicht einverstanden zu sein. Er übersandte mit E-Mail vom 09.01.2017 u.a. die Rechnung der L. Klinik (42.396 CHF), einen" Rückforderungsbeleg" und ein...