Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. gemischte Bedarfsgemeinschaft mit einem schwerbehinderten erwerbsgeminderten Kind. Zweipersonenhaushalt in Nordrhein-Westfalen. Angemessenheitsprüfung. erhöhter Raum- bzw Wohnflächenbedarf
Orientierungssatz
1. Ein volljähriges unverheiratetes Kind unter 25 Jahren, das im Haushalt eines nach dem SGB 2 leistungsberechtigten Elternteils lebt, aber Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung bezieht, bildet mit diesem Elternteil eine sogenannte gemischte Bedarfsgemeinschaft. Bei der Ermittlung der angemessenen Kosten der Unterkunft im Sinne des § 22 Abs 1 S 1 SGB 2 ist in diesem Fall von einem Zweipersonenhaushalt auszugehen.
2. Der Umstand, dass der Gesetzgeber einen erhöhten Raumbedarf wegen einer Behinderung grundsätzlich anerkennt, folgt aus § 22b Abs 3 SGB 2. Das Zusammenleben mit einem schwerbehinderten Kind, dessen Behinderung motorische Bewegungszwänge und Hyperaktivitäten mit sich bringt, kann auch für den Elternteil in der gemischten Bedarfsgemeinschaft einen erhöhten Raumbedarf begründen, der sich aus dem Bedürfnis zur räumlichen Distanzierung im Alltag ergibt.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 31.03.2016 geändert. Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin unter Änderung des Bescheides vom 11.07.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.11.2013 und der Bescheide vom 10.09.2012 und 23.04.2014 von Dezember 2012 bis März 2013 jeweils monatlich Unterkunfts- und Heizbedarfe in Höhe von weiteren 39,05 EUR zu zahlen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen zu ¾ zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Unterkunfts- und Heizbedarfe vom 01.12.2012 bis 31.03.2013 streitig.
Die am 00.00.1971 geborene Klägerin ist alleinerziehende Mutter und Betreuerin ihrer am 00.00.1992 geborenen, ledigen Tochter G C. Ausweislich eines Pflegegutachtens des MDK Westfalen-Lippe vom 18.04.2005 leidet die Tochter an einer Mikrozephalie, beidseitigen Schwerhörigkeit und Sprachentwicklungsstörung. In der Jugendzeit auftretende Epilepsie- und Krampfanfälle sind nach medikamentöser Einstellung zuletzt nicht mehr aufgetreten. Bei der Tochter ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 mit den Merkzeichen G, H und B anerkannt. Die Tochter bezieht seit dem 01.12.2011 Leistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII einschließlich der kopfteiligen Bedarfe für Unterkunft und Heizung.
Nach der Trennung von ihrem früheren Ehemann im Oktober 2010 lebte die Klägerin mit ihrer Tochter zunächst in C. Die Klägerin zog mit ihrer Tochter Ende 2011 in eine 80 m² große Wohnung in der E Straße 00, I. Die Gesamtmiete für die Wohnung betrug 650 EUR (480 EUR Grundmiete inklusive 30 EUR für einen Pkw-Stellplatz, 85 EUR Betriebskosten, 85 EUR Heizkosten). Mit ihrer Tochter hat die Klägerin einen Untermietvertrag vom 18.11.2011 abgeschlossen, wonach die Tochter die Hälfte der Gesamtmiete von monatlich 325 EUR (240 EUR Grundmiete nebst Stellplatz, 42,50 EUR Betriebskosten, 42,50 EUR Heizkosten) an die Klägerin zu zahlen habe.
Am 16.04.2012 beantragte die Klägerin erstmalig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bei dem Beklagten. Mit bestandskräftigen Bescheiden vom 04.05.2012, 09.05.2012 und 15.06.2012 bewilligte der Beklagte der Klägerin Leistungen vom 01.04.2012 bis 30.09.2012. Darin berücksichtigte der Beklagte neben dem Regelbedarf kopfteilige Unterkunfts- und Heizbedarfe ohne Stellplatzkosten iHv monatlich 310 EUR (620 EUR: 2). Weitere Unterkunftsbedarfe iHv 310 EUR gewährte in diesem Zeitraum der beigeladene Sozialhilfeträger der Tochter. Der Kostenanteil für den Stellplatz iHv 30 EUR monatlich wurde weder vom Beklagten noch von der Beigeladenen übernommen.
Mit Schreiben vom 04.05.2012 teilte der Beklagte der Klägerin mit, die tatsächlichen Unterkunftskosten seien unangemessen und könnten längstens für sechs Monate übernommen werden. Für einen Zweipersonenhaushalt sei nach dem kommunalen Mietrichtwert maximal eine Bruttokaltmiete von 380 EUR nebst tatsächlichen Heizkosten vorgesehen. Das Ergebnis ihrer Kostensenkungsbemühungen habe die Klägerin bis zum 01.09.2012 und anschließend regelmäßig monatlich dem Beklagten nachzuweisen.
Mit Schreiben vom 10.05.2012 widersprach die Klägerin der Kostensenkungsaufforderung. Sie habe die Wohnung in der E Straße 00 in I nach ihrer Trennung von ihrem früheren Ehemann erst kurz vorher bezogen und renoviert. Zum Zwecke der Renovierung habe sie ihren Pkw verkauft. Es sei bei Einzug in die Wohnung zudem nicht absehbar gewesen, dass ihr Ex-Mann nicht in der Lage sein werde, Unterhalt zu zahlen. Die Auswahl sei dabei aus besonderen Gründen auf diese Wohnung gefallen, da es sich um eine abgeschiedene Hinterhof-Wohnung handele, bei der Störungen der Nachbarn wegen der Schreianfälle...