Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an den Nachweis einer rechtswirksamen Beitragserstattung
Orientierungssatz
1. Ist zwischen Versichertem und Rentenversicherungsträger streitig, ob ein früheres Beitragserstattungsverfahren zur Auflösung des Versicherungsverhältnisses geführt hat, sodass der Versicherte daraus Rechte nicht mehr herleiten kann, so wirken sich verbleibende Zweifel zu Lasten des Versicherungsträgers aus.
2. Eine wirksame Beitragserstattung setzt voraus: einen Erstattungsantrag, einen wirksamen Erstattungsbescheid und eine rechtswirksame befreiende Bewirkung der Leistung.
3. Dem elektronischen Gesamtkontospiegel kommt nicht die Beweiskraft einer öffentlichen Urkunde i. S. von § 417 ZPO zu. Aus diesem lässt sich nicht entnehmen, ob die dort gespeicherten Daten zuverlässige, sichere Rückschlüsse auf ihren Wahrheitsgehalt zulassen.
4. Sind Geschehensabläufe nicht erwiesen, die typischerweise den Schluss auf eine Beitragserstattung zulassen, so ist eine Auflösung des früheren Versicherungsverhältnisses zu verneinen.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 10.02.2014 geändert. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 01.02.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.05.2011 verurteilt, an den Kläger EUR 6.750,64 zu zahlen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten aus beiden Rechtszügen zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Erstattung von Beiträgen.
Der im August 1942 geborene Kläger wurde am 12.12.1969 im deutschen Steinkohlenbergbau angelegt und war seither dort beschäftigt, zuletzt bei der Bergbau AG H im Bergwerk D/Q. Mit Schreiben vom 20.8.1975 - gerichtet an die Anschrift des Klägers in der Türkei - kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis fristlos "wegen Vertragsbruchs". Der Kläger sei seit dem 17.7.1975 seinem Arbeitsplatz unentschuldigt fern geblieben. Die fristlose Kündigung gelte vorsorglich auch als fristgemäße Kündigung zum 30.9.1975.
Anfang Dezember 2004 wandte sich der Knappschaftsälteste X aus E mit einem Schreiben an die Beklagte: Der in Deutschland lebende Versicherte G D sei von dem in der Türkei lebenden Kläger beauftragt worden (herauszufinden), ob noch Versicherungszeiten in Deutschland vorliegen, die zur Rentenberechtigung führen. Der Kläger sei am 30.9.1975 von der Ruhrkohle gekündigt worden und lebe seit 1975 in der Türkei. Eine Antwort der Beklagten ist nicht aktenkundig. Etwa ein halbes Jahr später sprach der Versicherte D bei der Auskunfts- und Beratungsstelle der Beklagten in C vor und fragte, wann die Beitragserstattung erfolgt sei und auf welches Konto gezahlt wurde. Der Kläger habe weder einen Bescheid noch eine Überweisung erhalten. Die Adresse des Klägers sei damals wie heute die gleiche. Die Beklagte stellte fest, dass ihr Aktenvorgänge über das Erstattungsverfahren nicht mehr vorliegen. Im Dezember 2005 rief der Versicherte D bei der Beklagten an und teilte mit, dass der Kläger nie einen Antrag auf Beitragserstattung gestellt habe. Es werde um Auskunft gebeten, auf welches Konto der Betrag überwiesen wurde. Die Beklagte antwortete, dass zwar keine Unterlagen mehr vorlägen, laut (elektronischem) Versicherungskonto die Beiträge jedoch erstattet worden seien. Danach sei am 1.9.1977 ein Antrag auf Beitragserstattung gestellt worden, dem mit Bescheid vom 20.6.1978 entsprochen worden sei (Erstattungszeitraum 1.12.1969 bis 31.7.1975, Erstattungsbetrag DM 13.203,10).
Am 3.11.2006 beantragte der Kläger, ihm die für die Zeit vom 1.12.1969 bis zum 31.7.1975 gezahlten Arbeitnehmerbeiträge in Höhe von EUR 6.750,64 zu erstatten. Die Beklagte wandte sich an die DRV Westfalen mit dem Hinweis, dass von dort am 20.6.1978 eine Beitragserstattung durchgeführt worden sei. Diese antwortete, dass der Antrag auf Beitragserstattung am 9.3.1978 an die Beklagte abgegeben worden sei. Bei der DRV Westfalen seien keine Unterlagen verblieben. In den Verwaltungsakten der Beklagten findet sich ein 2007 vom Referat Rentenversicherung II der Beklagten in Hamburg entworfener "Musterbescheid, wenn Versicherte behaupten, den Erstattungsbetrag nicht erhalten zu haben".
Mit Klage vom 28.3.2007 (Vorprozess vor dem SG Dortmund, Az S 6 KN 100/07) verfolgte der Kläger sein Erstattungsbegehren weiter. Entgegen den Ausführungen der Beklagten habe er den Betrag zu keinem Zeitpunkt erhalten. Ihm sei nicht mehr bekannt, welche Bankverbindung er im Jahr 1978 gehabt habe. Die Beklagte führte zunächst aus, es verwundere, dass der Kläger erstmals im Alter von 62 Jahren (nämlich 2004) nachgefragt habe. Sie sei nicht in der Lage, 30 Jahre nach Erteilung des Erstattungsbescheides mitzuteilen, auf welches Konto das Geld geflossen sei. Auf gezielte Anfrage des Sozialgerichts (SG), wann, auf welcher Grundlage und warum die Aktenvorgänge vernichtet worden seien, antwortete die Beklagte, dass die Akten auf der Grundlage interner Verwaltungsvorschriften - hier wohl im Jahre 1985 - vernichtet worden sind...