Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. gewährte Nothilfe nach § 25 S 1 SGB 12. analoge Anwendung. Ausnahmen vom Grundsatz der Subsidiarität nach § 5 Abs 2 S 1 SGB 2. sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. materielle Beweislast des Nothelfers

 

Orientierungssatz

1. Grundsätzlich führt die fehlende Antragstellung einer nach dem SGB 2 antragsberechtigten Person nicht dazu, dass subsidiär der eigentlich unzuständige Träger nach dem SGB 12 Leistungen erbringen muss. Dies gilt jedoch dann nicht uneingeschränkt, wenn es sich um eine hilfebedürftige Person handelt, die zwar dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB 2 ist, jedoch kein eigenes Recht zur Antragstellung besitzt (hier: minderjähriges Kind als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft).

2. Die Regelung des § 25 S 1 SGB 12 - Nothelferanspruch - ist analog auch auf Hilfebedürftige anwendbar, die nach dem SGB 2 leistungsberechtigt sind; es besteht insoweit im SGB 2 eine planwidrige Regelungslücke bei vergleichbarer Interessenlage.

3. Die Rechtsprechung, nach der § 121 BSHG auch im Rahmen des AsylbLG entsprechende Anwendung findet (vgl VGH München vom 27.4.2006 - 12 BV 04.3020 = KHuR 2006, 126), ist auf die Anwendung des § 25 SGB 12 im Bereich des SGB 2 übertragbar.

4. Es bleibt bei dem Grundsatz, dass der Nothelfer bei der Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs die materielle Beweislast dafür trägt, dass der Sozialhilfeträger bei rechtzeitiger Kenntnis Sozialhilfe gewährt hätte, was auch die Hilfebedürftigkeit des Empfängers der Nothilfe voraussetzt (vgl BVerwG vom 30.12.1996 - 5 B 202/95 und OVG Münster vom 16.5.2000 - 22 A 3534/98 = FEVS 52, 142).

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 19.05.2009; Aktenzeichen B 8 SO 4/08 R)

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 07.03.2007 wird zurückgewiesen. Der Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird zugelassen. Der Streitwert wird auf 926,44 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Erstattung von Krankenhauskosten in Höhe von 926,44 EUR.

Die Klägerin betreibt in E ein Krankenhaus. In diesem wurde die 1992 geborene O S (im Folgenden: S), die Tochter der Zeugin P, in der Zeit vom 21.04.2005 bis 26.04.2005 stationär behandelt. Grund für die Aufnahme waren unklare Unterbauchbeschwerden. Es bestand der Verdacht auf eine akute Blinddarmentzündung. Bei Aufnahme in das Krankenhaus gab die Zeugin P an, die S sei im Rahmen der Familienversicherung über sie gesetzlich krankenversichert. Auf den von der Klägerin gestellten Kostenübernahmeantrag teilte die IKK Nordrhein der Klägerin mit, dass die Familienversicherung mit dem 31.12.2004 geendet habe. Daraufhin beantragte die Klägerin am 17.06.2005 beim Beklagten die Übernahme der entstandenen Behandlungskosten in Höhe von 926,44 EUR.

Der Beklagte versuchte erfolglos, mit der Zeugin P Kontakt aufzunehmen, um deren wirtschaftliche Verhältnisse im Behandlungszeitraum aufzuklären. Mit Bescheid vom 30.08.2005 lehnte er den Antrag ab. Zwar sei der Antrag fristgerecht beim örtlich und sachlich zuständigen Träger gestellt worden. Auch ein Eilfall liege vor. Es bestünden jedoch Zweifel an der Hilfsbedürftigkeit der Zeugin P, da nicht habe festgestellt werden können, wovon diese und die S zum fraglichen Zeitpunkt ihren Lebensunterhalt bestritten hätten.

Zur Begründung ihres Widerspruchs trug die Klägerin vor, dass die Zeugin P und die S bis 31.12.2004 über das Sozialamt E krankenversichert gewesen seien. Mit Widerspruchsbescheid vom 15.03.2006 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung trug er erneut vor, dass weiterhin erhebliche Zweifel an der Hilfebedürftigkeit der S bestünden, weil eine Sozialhilfebedürftigkeit wegen fehlender Mitwirkung der Zeugin P nicht habe nachgewiesen werden können.

Zur Begründung ihrer am 11.04.2006 beim Sozialgericht Aachen erhobenen Klage hat die Klägerin vorgetragen, dass von einer Hilfebedürftigkeit der S ausgegangen werden müsse.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 30.08.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.03.2006 zu verurteilen, 926,44 EUR für die stationäre Behandlung der O S zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat vorgetragen, dass die S und die Zeugin P auch bei Vorliegen von Hilfebedürftigkeit allenfalls einen Anspruch nach dem SGB II und nicht nach dem SGB XII gehabt hätten.

Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung von Frau B S P und Frau Q T, einer Schwester der S, als Zeugen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll vom 07.03.2007 Bezug genommen.

Mit Urteil vom 07.03.2007 hat das Sozialgericht den Beklagten zur Zahlung von 926,44 EUR an die Klägerin verurteilt und zur Begründung wörtlich ausgeführt:

"Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide im Sinne von § 54 Abs 2, Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Übernahme der entstandenen Behandlungskosten aus einer unmittelbaren, zumindest ...

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