Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Prozessunfähigkeit. Voraussetzungen für ausnahmsweises Absehen von der Bestellung eines besonderen Vertreters. offensichtlich haltlose Berufung
Orientierungssatz
1. Lehnt das Amtsgericht - wie hier - die Bestellung eines Betreuers nach § 1896 BGB ab, hindert dies nicht die Feststellung von Prozessunfähigkeit. Denn eine Betreuerbestellung setzt weder Prozessunfähigkeit voraus, noch kann ein Betreuungsgericht die Prozess(un)fähigkeit für andere Gerichte verbindlich feststellen. Die fehlende Bestellung eines Betreuers für den Bereich der Führung eines gerichtlichen Verfahrens führt allein dazu, dass die Voraussetzungen des § 72 Abs 1 SGG prognostisch einstweilen ohne absehbares Ende erfüllt sind.
2. Zwar kann bei bestehender Prozessunfähigkeit der Prozess grundsätzlich nur mit einem besonderen Vertreter fortgeführt werden, wenn eine sonstige gesetzliche Vertretung nicht gewährleistet ist und - wie hier - das Amtsgericht von der Bestellung eines Betreuers abgesehen hat. Ausnahmsweise kann jedoch von der Bestellung eines besonderen Vertreters abgesehen werden, wenn unter Anlegung eines strengen Maßstabs das Rechtsmittel eines Prozessunfähigen "offensichtlich haltlos" ist (vgl BSG vom 15.11.2012 - B 8 SO 23/11 R = SozR 4-1500 § 72 Nr 2).
Normenkette
SGG § 72 Abs. 1, § 71 Abs. 1; BGB §§ 1896, 104 Nr. 2; GG Art. 19 Abs. 4
Tenor
Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Beiordnung eines besonderen Vertreters gemäß § 72 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Der 1948 geborene Kläger bezieht seit 2005 Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II). Im Hinblick auf diesen Leistungsbezug ist er gesetzlich krankenversichert. Außerdem erhält er von der Pflegekasse Pflegegeld nach der Pflegestufe I.
Er hat bei dem Sozialgericht Münster seit 2005 eine Vielzahl von Klagen, u.a. gegen die Beklagte als örtlichen Sozialhilfeträger, erhoben. Das Sozialgericht hat insbesondere in zahlreichen anhängigen sozialhilferechtlichen Streitigkeiten gemäß § 72 Abs. 1 SGG einen besonderen Vertreter bestellt.
Mit seiner am 10.04.2012 beim Sozialgericht Münster erhobenen Klage hat der Kläger ohne sonstigen Bezug zu einem konkreten anhängigen Rechtsstreit geltend gemacht, die Bestellung von Herrn Rechtsanwalt N zum besonderen Vertreter durch das Sozialgericht Münster in zahlreichen sozialhilferechtlichen Streitigkeiten (hier: Beschlüsse vom 29.03.2010 - S 12 SO 171/05; S 12 SO 3/05, S 12 SO 95/09) sei aufzuheben. Aus einem Gutachten der Dres. L und E vom 01.12.2012 ergebe sich ebenso wie aus dem Beschluss des erkennenden Gerichts vom 09.03.2011 (L 12 SO 554/10 B ER), dass er prozessfähig sei.
Der Kläger hat erstinstanzlich (sinngemäß) beantragt,
das Gericht zu verurteilen, die Beiordnung eines besonderen Vertreters aufzuheben.
Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt.
Nach Anhörung der Beteiligten hat das Sozialgericht die Klage mit Gerichtsbescheid vom 09.07.2012 abgewiesen. Die Klage sei unzulässig, weil mit ihr ein Begehren verfolgt werde, für das das Sozialgerichtsgesetz keine Klagemöglichkeit vorsehe; die Verurteilung des Sozialgerichts selbst zur Vornahme einer Verfahrenshandlung kenne das Sozialgerichtsgesetz nicht.
Gegen den ihm am 10.07.2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 05.08.2012 Berufung eingelegt. Zur Begründung nimmt er auf die Klageschrift und seinen erstinstanzlichen Vortrag Bezug.
Der Kläger beantragt (schriftsätzlich) sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 09.07.2012 zu ändern und die Bestellung von Rechtsanwalt N zum besonderen Vertreter gemäß § 72 Abs. 1 SGG durch Beschlüsse des Sozialgerichts Münster vom 29.03.2010 aufzuheben.
Die Beklagte äußert sich im Berufungsverfahren nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt Prozessakte Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe
1. Der Senat konnte in der Sache entscheiden, obwohl für die Beteiligten niemand zur mündlichen Verhandlung erschienen war; denn die Beteiligten sind ordnungsgemäß vom Termin benachrichtigt und darauf hingewiesen worden, dass auch bei ihrem Ausbleiben verhandelt wird (§ 126 SGG).
Ungeachtet der fehlenden Prozessfähigkeit des Klägers war der Senat an einer Entscheidung auch nicht durch den Inhalt des vom Kläger am Samstag, den 13.04.2013 um 20:03 Uhr, übermittelten Telefaxes gehindert. Darin hatte der Kläger mitgeteilt, für den Fall, dass sich ein Rechtsanwalt in seinem Auftrag als sein Vertreter melde "oder" nicht im Termin erscheine, beantrage er eine Verschiebung des Termins. Ein vertretungsbereiter Rechtsanwalt hat sich im vorliegenden Verfahren für den Kläger nicht gemeldet. Der Kläger hat zudem den Erhalt der Ladung mit seinem Telefax ausdrücklich bestätigt.
2. Der Senat konnte auch entscheiden, ohne für d...