Entscheidungsstichwort (Thema)
Anerkennung einer Beschäftigung im Ghetto als fiktive Beitragszeit
Orientierungssatz
1. Eine Beitragszeit der Rentenversicherung ist auch eine Zeit, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als bezahlt gelten. Beiträge gelten u. a. dann als gezahlt, wenn ein Verfolgter eine rentenversicherungsrechtliche Beschäftigung in einem Ghetto, in dem er sich zwangsweise aufgehalten hat, ausgeübt hat. Glaubhaftmachung genügt hierbei.
2. Erforderlich ist, dass sowohl die Tätigkeit im Ghetto als auch deren Rentenversicherungspflichtigkeit glaubhaft gemacht wird. Für eine Versicherungspflichtigkeit ist notwendig, dass die Beschäftigung aufgrund zweiseitiger Vereinbarung aufgenommen wurde und den Austausch von Arbeit gegen Lohn zum Inhalt hatte.
3. Begrifflich schließen sich Beschäftigungsverhältnis und Zwangsarbeit gegenseitig aus. Zwangsarbeit schließt das Merkmal der Freiwilligkeit aus. Arbeit unter hoheitlichen Eingriffen ist Zwangsarbeit.
4. Der Begriff der Entgeltlichkeit verlangt, dass für geleistete Arbeit eine Gegenleistung gewährt wird, die den Umfang freien Unterhalts übersteigt. Das Entgelt in Form von Sachbezügen muss eine Mindesthöhe erreichen, damit von einer entgeltlichen versicherungspflichtigen Beschäftigung gesprochen werden kann.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 10.05.2005 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin von der Beklagten die Gewährung einer Regelaltersrente beanspruchen kann. Dabei ist insbesondere streitig, ob Arbeitszeiten der Klägerin im Ghetto Krakau-Podgorze als Zeiten einer versicherungspflichtigen Beschäftigung auf die allgemeine Wartezeit anrechenbar sind.
Die jüdische Klägerin wurde am 00.00.1929 als polnische Staatsangehörige in L geboren. Seit Dezember 1949 lebt sie in Israel und besitzt die israelische Staatsangehörigkeit. Sie ist anerkannte Verfolgte im Sinne des § 1 Bundesentschädigungsgesetz (BEG) und erhielt Leistungen wegen eines Schadens an Körper oder Gesundheit. Ferner hat sie von der Claims Conference eine Entschädigung auf Grund ihres Verfolgungsschicksals im Ghetto Krakau in den Jahren 1940 bis 1943 erhalten.
Im Juli 1963 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Entschädigung wegen Schadens an Körper oder Gesundheit und machte als Ursache für die Schädigung schwere Lebensbedingungen im Ghetto und in der Illegalität, Hunger, zu schwere Zwangsarbeiten für ein Kind, Misshandlungen, durchgemachte Infektionen, Leben in ständiger Angst und Schrecken geltend. Hierzu erklärte sie in einer eidesstattlichen Versicherung vom 14.08.1963, dass sie zusammen mit ihrer Mutter und ihren anderen Geschwistern in das Ghetto Krakau-Podgorze, das im Jahre 1941 errichtet worden sei, gekommen sei. Sie habe trotz ihres jugendlichen Alters Zwangsarbeit verrichten müssen. Damals hätten auch ihre gesundheitlichen Beschwerden begonnen. Der am 00.00.1926 geborene Zeuge K E erklärte in seiner eidesstattlichen Versicherung vom 21.07.1963, dass die Klägerin trotz ihres noch so jungen Alters schwere ungewohnte Zwangsarbeiten habe leisten müssen. Sie sei nach der Arbeit ständig mit heftigen Kopfschmerzen und Schmerzen in den Beinen nach Hause gekommen. Der Zeuge K1 P bestätigte in seiner Erklärung vom 29.07.1963, dass die antijüdischen Maßnahmen begonnen hätten, als die Deutschen im Jahre 1939 die Stadt besetzten. Der Vater der Klägerin sei von den Deutschen erschossen worden und die Klägerin sei dann lange krank gewesen. Sie seien zusammen in das Ghetto Krakau-Podgorze gekommen, wo sich die Verhältnisse rapide verändert hätten. Sie hätten trotz ihres jungen Alters schwere Zwangsarbeiten leisten müssen, was weit die Kräfte der Klägerin überstiegen habe. Sie hätten gehungert, an Kälte gelitten, und die Klägerin habe von Tag zu Tag schlechter ausgesehen. In dem ärztlichen Gutachten vom 09.09.1963 ist unter der Rubrik Angaben des Antragstellers über die seiner Meinung nach durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen erstmalig entstandene Krankheiten, Beschwerden und deren Ursachen vermerkt: "Im kindlichen Alter den menschenunwürdigsten Bedingungen ausgesetzt, mangelernährt, Kälte-/Nässeschäden ausgesetzt, Zwangsarbeit verrichtet, mißhandelt, ständig unter Todesfurcht lebend, kam es zu fieberhaften Erkrankungen, Durchfällen, rheumatischen Beschwerden und schwerer Neurose".
Mit Datum vom 03.11.2002 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Altersrente auf Grund von Ghettobeitragszeiten. Sie gab an, in den Jahren 1941 bis 1943 im Ghetto Krakau ungewohnte physische Zwangsarbeiten verrichtet zu haben. In dem ihr von der Beklagten übersandten Antragsformular machte sie keine Angaben zum Versicherungsverlauf. In dem Fragebogen für die Anerkennung von Zeiten unter Berücksichtigung der Vorschriften de...