Entscheidungsstichwort (Thema)

Versorgungsanspruch wegen eines Impfschadens

 

Orientierungssatz

1. Wer durch eine öffentlich empfohlene Schutzimpfung einen Impfschaden erlitten hat, erhält wegen dessen gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen Versorgung in entsprechender Anwendung des BVG.

2. Die Kausalität beurteilt sich nach der herrschenden medizinischen Lehrmeinung. Dabei kommt den Anhaltspunkten die Bedeutung eines antizipierten Sachverständigengutachtens zu. Nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft ist es nicht wahrscheinlich, dass eine Masern-Mumps-Röteln-Impfung (MMR-Impfung) oder Hämophilus-Influenza-Impfung (Hib-Impfung) zu einer Diabetes mellitus Typ 1-Erkrankung führt.

3. Die Gewährung einer Kann-Versorgung kommt nur dann in Betracht, wenn ein ursächlicher Zusammenhang nur deshalb nicht als wahrscheinlich angenommen werden kann, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht.

4. Wenn die Ursachen einer Erkrankung medizinisch-wissenschaftlich nicht geklärt sind, kann nicht andererseits eine der lediglich möglichen Ursachen gerade wegen der mangelnden Aufklärbarkeit anderer Ursachen als die einzig relevante Ursache angesehen werden.

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 08.03.2007 wird zurückgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger ein Versorgungsanspruch wegen eines Impfschadens nach dem Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) zusteht.

Der am 00.00.2001 geborene Kläger beantragte am 05.05.2003 Versorgung nach dem Infektionsschutzgesetz. Zur Begründung führte er an, aufgrund einer Impfung vom 08.10.2002 gegen Masern-Mumps-Röteln (MMR-Impfung) an einem Diabetes mellitus Typ I zu leiden.

Das Versorgungsamt N zog den Entlassungsbericht der Kinderklinik B vom 18.03.2003 sowie einen Bericht der Kinderärztin F vom 01.07.2003 und des Dr. S vom 04.07.2003 bei. Nach Einholung einer gutachterlichen Stellungnahme des Prof. Dr. T vom 04.09.2003 lehnte es den Antrag des Klägers auf Versorgung mit Bescheid vom 06.10.2003 ab. Mit seinem Widerspruch machte der Kläger unter anderem geltend, dass der Diabetes auf Hämophilus-Influenza-Impfungen (Hib-Impfungen) vom 04.05.2001, 05.07.2001 und 08.07.2002 zurückzuführen sei. Das Versorgungsamt wies auch diese Annahme mit Bescheid vom 20.01.2004 und den Widerspruch insgesamt mit Widerspruchsbescheid vom 07.07.2004 zurück.

Der Kläger hat am 29.07.2004 Klage beim Sozialgericht (SG) Münster erhoben und sein Begehren weiter verfolgt.

Auf seinen Antrag gem. § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das SG ein Gutachten des Dr. H vom 19.05.2006 eingeholt. Dieser hat zunächst allgemeine Ausführungen dazu gemacht, dass generell ein Zusammenhang zwischen Impfung und einer Autoimmunerkrankung bestehen könne. Anschließend hat er ausgeführt, dass auch ein Diabetes durch Impfung verursacht werden könne und hat je für die verschiedenen Impfungen (Mumps, Röteln, MMR, Hib, Diphtherie, Tetanus, Pertussis) Fälle genannt, in denen ein Diabetes im Anschluss an die Impfung festgestellt worden sei.

Der Beklagte hat hierzu eine gutachterliche Stellungnahme des Prof. Dr. T vom 24.07.2006 übersandt, in der dieser im Wesentlichen darauf hingewiesen hat, dass die Auffassung von Dr. H nicht den aktuellen Kenntnisstand der medizinischen Wissenschaft zum Ursachenzusammenhang zwischen Impfung und Diabetes darstelle. Vielmehr würden die von Dr. H aufgezeigten Fälle lediglich einen zeitlichen Zusammenhang berichten, der aber für die Annahme eines Kausalzusammenhangs nicht ausreiche.

Zu dieser Stellungnahme hat der Kläger Dr. H um Gegenstellungnahme gebeten. Dieser hat ausgeführt, dass

1. Diabetes Typ I als Autoimmunkrankheit angesehen werden müsse

2. Impfungen sämtliche Autoimmunkrankheiten auslösen könnten

3. deswegen auch Diabetes Typ I nach Impfung als Impfkrankheit nicht ausgeschlossen werden könne

4. in zahlreichen Publikationen in der wissenschaftlichen Literatur dieser Zusammenhang nach mehreren Impfungen, unter anderem auch Mumps-, Röteln- und Hib-Impfungen beschrieben worden sei.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 08.03.2007 abgewiesen, da ein Zusammenhang zwischen Impfung und Diabetes nicht festzustellen sei. Soweit Dr. H einen solchen bejahe, erfolge dies allein mit allgemeinen Erwägungen, die nicht auf die konkreten Verhältnisse des Klägers eingingen. Auch die Auffassung, der Diabetes sei als Impfschaden anzuerkennen, weil es keine andere plausible Erklärung für die Erkrankung gebe, vermöge nicht zu überzeugen. Wenn der Kläger selbst darauf hinweise, dass in der medizinischen Wissenschaft Uneinigkeit über die Entstehung eines Diabetes mellitus Typ I bestehe, ziele er auf eine Kann-Versorgung ab. Für diesen Anspruch fehle es an einer ...

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