Entscheidungsstichwort (Thema)

sozialgerichtliches Verfahren. Verfahrensaussetzung. Anhörungsfehler im sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren. isolierte Aufhebung des Widerspruchbescheids

 

Leitsatz (amtlich)

Wenn wegen fehlerhafter Anhörung im Verwaltungsverfahren sowohl der Ausgangsbescheid als auch der Widerspruchsbescheid rechtswidrig ist, die Versorgungsverwaltung aber während des sozialgerichtlichen Verfahrens nur den Widerspruchsbescheid aufhebt, muss das Gericht das Verfahren nicht aussetzen.

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Herabsetzung des Grades der Behinderung (GdB) nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) durch den Beklagten.

Der ... 1941 geborene Kläger wurde am 02.11.1992 wegen eines Analkarzinoms operiert. Der Beklagte stellte mit Bescheid vom 23.09.1994 die Behinderung "Erkrankung des Enddarmes im Stadium der Heilungsbewährung" und einen GdB von 80 fest.

Im August 1998 leitete der Beklagte eine Nachprüfung ein. Er holte einen Befundbericht der Fachärztin für Chirurgie Dr. N vom 11.09.1998 und eine versorgungsärztliche gutachtliche Stellungnahme der Ärztin Dr. Sch ein. Mit einem Anhörungsschreiben gemäß § 24 Sozialgesetzbuch X (SGB X) vom 29.09.1998 teilte der Beklagte dem Kläger mit, aus den jetzt vorliegenden ärztlichen Befundunterlagen ergebe sich, dass bei der anerkannten Funktionsbeeinträchtigung die Zeit der Heilungsbewährung abgelaufen sei und der GdB jetzt weniger als 20 betrage. Mit Bescheid vom 15.10.1998 traf der Beklagte die entsprechende Feststellung. Im anschließenden Widerspruchsverfahren holte der Beklagte bei Frau Dr. N einen weiteren Befundbericht ein und ließ den Kläger am 04.02.1999 durch den Chirurgen Dr. K untersuchen. Den damaligen Bevollmächtigten des Klägers übersandte der Beklagte auf deren Wunsch Kopien der gutachtlichen Stellungnahme von Frau Dr. Sch vom 25.09.1989 und des Gutachtens von Dr. K vom 04.02.1999. In einem weiteren Anhörungsschreiben vom 26.02.1999 teilte der Beklagte dem Kläger mit, er habe die von der behandelnden Ärztin zugesandten Befundunterlagen auswerten und die Klägerin durch den ärztlichen Dienst des Versorgungsamtes untersuchen lassen; die Heilungsbewährung sei abgelaufen; unter Berücksichtigung der neu aufgetretenen Funktionsbeeinträchtigungen am rechten Bein sei der GdB jetzt mit 30 zu bewerten. Gleichzeitig erteilte der Beklagte einen entsprechenden Teil-Abhilfebescheid. Den Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12.04.1999 zurück.

Der Kläger hat am 27.04.1999 Klage erhoben. Nachdem das Sozialgericht die Beteiligten darauf hingewiesen hatte, dass die Anhörung nicht ordnungsgemäß erfolgt sei, hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 31.08.1999 den Widerspruchsbescheid vom 12.04.1999 aufgehoben und angekündigt, das zuständige Versorgungsamt werde die Anhörung nachholen. Weiter heißt es in dem Schreiben, man sehe einer Aussetzung des Streitverfahrens entsprechend der einschlägigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) entgegen.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid vom 15.10.1998 und den Abhilfebescheid vom 26.02.1999 aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 19.10.1999 den Bescheid vom 15.10.1998 und den Teil-Abhilfebescheid vom 26.02.1999 mit der Begründung aufgehoben, die Anhörung des Klägers entspreche nicht den Vorgaben des § 24 SGB X. Eine Anhörung erfordere nämlich, dass der Beklagte dem Kläger nicht nur mitteile, dass er ärztliche Befundunterlagen beigezogen und welche Schlussfolgerungen er aus diesen Unterlagen gezogen habe, sondern dass er dem Betroffenen den Inhalt der beigezogenen ärztlichen Befundunterlagen einschließlich des Namens des Ausstellers zusammenfassend mitteilen müsse. Dem sei der Beklagte hier nicht nachgekommen. Von der prozessualen Möglichkeit, im Klageverfahren ein ordnungsgemäßes Widerspruchsverfahren nachholen zu lassen, müsse das Gericht nicht Gebrauch machen.

Mit der Berufung hat der Beklagte weiterhin die Auffassung vertreten, das gerichtliche Verfahren sei auszusetzen.

Der Kläger meint, der Behörde werde eine weitere, vom Gesetz nicht vorgesehene Heilungsmöglichkeit bei Verletzung des Anhörungsrechts gegeben, wenn man der Rechtsauffassung des Beklagten beitreten würde.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen des sonstigen Sachverhalts wird auf den übrigen Inhalt der Streitakte und auf die den Kläger betreffenden Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz -- SGG --).

Die zulässige Berufung des Beklagten ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat zu Recht den Bescheid vom 15.10.1998 und den Teil-Abhilfebescheid vom 26.02.1999 aufgehoben. Beide Bescheide sind rechtswidrig, weil sie unter Verletzung des Anhörungsrechts nach § 24 SGB X ergangen sind. Der Beklagte hat es...

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