Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende: Leistungsausschluss für EU-Ausländer. Freizügigkeitsrecht als Familienangehöriger als Aufenthaltsgrund. Unterhaltssicherung als Voraussetzung des Aufenthaltsrechts. Anerkennung von Kosten der Unterkunft bei einem Mietvertrag unter nahen Verwandten
Orientierungssatz
1. Der gesetzliche Leistungsausschluss für Ausländer im Rahmen der Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende greift nicht, wenn sich das Aufenthaltsrecht eines EU-Bürgers aus einem Freizügigkeitsrecht als Familienangehöriger ableitet. Dabei ist für die Annahme eines Freizügigkeitsrecht als Familienangehöriger bei EU-Ausländern der Nachweis bedarfsdeckender Unterhaltszahlung vor der Einreise keine notwendige Voraussetzung. Vielmehr genügt eine Unterhaltsgewährung nach der Einreise für die Begründung des Aufenthaltsrechts.
2. Einzelfall zur Bewertung eines Mietvertrages unter Verwandten als Scheingeschäft im Rahmen der Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende.
Tenor
Auf die Berufung des Beigeladenen und der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 13.07.2017 geändert. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 10.11.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.04.2016 verurteilt, der Klägerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe des Regelbedarfs vom 01.11.2015 bis 30.11.2016 zu bewilligen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Beklagte hat die Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen zu ¾ zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin und der Beigeladene wenden sich im Berufungsverfahren gegen eine Verurteilung des Beigeladenen zur Bewilligung von Leistungen nach dem SGB XII. Die Klägerin begehrt die Verurteilung des Beklagten zur Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II einschließlich Kosten der Unterkunft und Heizung.
Die am 00.00.1990 in M/Slowakei geborene Klägerin ist slowakische Staatsangehörige. Sie reiste im Jahr 1998 gemeinsam mit ihren Eltern in die Bundesrepublik Deutschland ein und besuchte hier die Grund- und Hauptschule. Im Jahr 2007 kehrte sie in die Slowakei zurück. In der Slowakei absolvierte sie eine Friseurlehre und erlangte die Hochschulreife. Im August 2014 reiste die Klägerin erneut nach Deutschland ein. Sie lebt seither im elterlichen Haushalt bei ihrer Mutter, der Zeugin E N, die ebenfalls slowakische Staatsangehörige ist, und ihrem Stiefvater N N. Die Zeugin und ihr Ehemann sind Eigentümer eines Reihenhauses, für das 2015 folgende Kosten anfielen: 700 EUR monatliche Schuldzinsen ohne Tilgungsraten; 1.168,14 EUR jährliche Aufwendungen für Grundsteuer, Abfallgebühren, Trinkwasser etc.; 470,64 EUR jährliche Heizkosten. Die Zeugin war im streitigen Zeitraum im Kosmetikstudio ihres Ehemannes tätig und erhielt hieraus ein monatliches Einkommen iHv 400 EUR (netto: 385,20 EUR). Herr N erhielt im streitigen Zeitraum aus einem Beschäftigungsverhältnis ein monatliches Einkommen iHv 2.096 EUR (netto: 1.644,14 EUR) und erzielte aus dem Betrieb des Kosmetikstudios einen monatlichen Gewinn iHv 200 EUR bis 300 EUR. Im streitigen Zeitraum lebte auch die am 06.11.2003 geborene gemeinsame Tochter N N im Haushalt der Eltern. Von Oktober 2014 bis Dezember 2014 durchlief die Klägerin erneut eine Ausbildung zur Friseurin. Das Ausbildungsverhältnis wurde durch die Ausbildungsstelle gekündigt.
Am 19.02.2015 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Sie gab an, sie beteilige sich monatlich iHv 220 EUR an den Unterkunftskosten. Dem Antrag fügte die Klägerin eine Erklärung der Zeugin vom 11.03.2015 bei, wonach diese ihre Tochter finanziell nicht unterstütze und die Klägerin eine monatliche Miete iHv 220 EUR zu zahlen habe. Der Beklagte bewilligte der Klägerin mit Bescheiden vom 01.04.2015 und 27.04.2015 Leistungen für den Zeitraum von Januar 2015 bis Juni 2015 iH des gesetzlichen Regelbedarfs von 399 EUR zuzüglich Unterkunftskosten iHv 220 EUR monatlich. Von Juni 2015 bis zum 16.10.2015 besuchte die Klägerin eine Friseurfachschule und absolvierte dort einen Vorbereitungslehrgang zur Meisterprüfung im Friseurhandwerk. In dieser Zeit erhielt sie Leistungen nach dem Aufstiegsfortbildungsgesetz iHv 238 EUR monatlich (Bescheid der Bezirksregierung Köln vom 29.09.2015). Der Gesamtbetrag von 1.190 EUR wurde im Oktober 2015 an die Klägerin ausgezahlt. Am 28.10.2015 unterzeichneten die Klägerin und die Zeugin eine Erklärung, nach der die Klägerin eine monatliche Mietzahlung iHv 250 EUR zu entrichten habe. Die Zeugin führte ergänzend aus: "Finanziell unterstütze ich meine Tochter nicht."
Am 28.10.2015 beantragte die Klägerin die Weiterbewilligung der Leistungen ab November 2015. Dem Antrag fügte sie eine Erklärung der Zeugin vom 09.11.2015 bei, wonach diese ihre Tochter finanziell nicht unterstütze und die Klägerin eine monatliche Miete iHv 240 EUR zu zahlen habe. Auf Aufforderung des Beklagten reichten ...