Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Krankenhaus. Vergütung für Krankenhausbehandlung. Verstoß einer Rechnungskorrektur gegen Treu und Glauben. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
1. Die Rechnungskorrektur eines Krankenhausträgers verstößt gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, wenn er mit einer nicht offensichtlich unrichtigen Schlussrechnung ein Umstandsmoment gesetzt hat und weder im Rechnungsjahr noch in dem darauf folgenden Haushaltsjahr in irgendeiner Weise zu erkennen gibt, dass er an dieser Schlussrechnung nicht mehr festhält und eine Nachberechnung vorzunehmen gedenkt (vgl BSG vom 19.4.2016 - B 1 KR 33/15 R = BSGE 121, 101 = SozR 4-2500 § 109 Nr 57 und vom 5.7.2016 - B 1 KR 40/15 R =SozR 4-2500 § 109 Nr 58).
2. Diese Auslegung verletzt nicht das Grundrecht der Berufsausübungsfreiheit.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 28.04.2016 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten nur noch im Rahmen der Widerklage um die Berechtigung der Beklagten, für eine stationäre Krankenhausbehandlung 1.373,05 Euro nachzuberechnen.
Der bei der Klägerin gegen Krankheit versicherte I. T. (fortan: Versicherter) befand sich vom 4.10. bis 29.10.2010 zur stationären Behandlung im dem für die Versorgung von gesetzlich Versicherten zugelassenen (§ 108 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V)) Krankenhaus der Beklagten. Die Aufnahme des unter Parkinson leidenden Versicherten erfolgte wegen eines motorischen Hemisyndroms mit Verdacht auf einen Mediainfarkt. Der Versicherte wurde am 14.10.2010 operiert. Bereits vor der Operation entwickelte sich ab dem 7.10.2010 ein delirantes Syndrom, das sich nach zweimaliger Gabe von Lorazepam (Travor®) und die tägliche Verabreichung von Quetiapin (Seroquel®) nach der Operation bis zur Entlassung zurückbildete.
Die Beklagte stellte der Klägerin mit am 11.11.2010 zugegangener Schlussrechnung vom 9.11.2010 unter Zugrundelegung der DRG B 17 C einen Gesamtbetrag von 6.430,65 Euro in Rechnung, den die Klägerin beglich. Als zweite Nebendiagnose hatte die Beklagte ICD F13.7 (Psychische Verhaltensstörung durch Sedativa und Hypnotika: Restzustand und verzögert auftretende psychotische Störung) kodiert.
Die Klägerin leitete hinsichtlich der Frage, ob die Beklagte berechtigt war, die obere Grenzverweildauer zu überschreiten, ein Prüfverfahren beim Medizinischen Dienst der Krankenkasse (MDK) ein und forderte die Entlassungsberichte und die Fieberkurve an. Nachdem der MDK in seinem Gutachten vom 9.8.2011 von einer um 16 Belegungstage kürzeren Verweildauer ausging, forderte die Beklagte die sich daraus ergebende Überzahlung i.H.v. 3.757,84 Euro mit Schreiben vom 19.8.2011 zurück.
Nachdem die Beklagte hierauf auch nach Erinnerung nicht reagiert hatte, hat die Klägerin ihren Zahlungsanspruch mit Klage vom 12.4.2012 gerichtlich geltend gemacht. Die Beklagte hat ihre Schlussrechnung vom 9.11.2010 am 8.5.2011 storniert und der Klägerin für den streitigen Krankenhausaufenthalt eine neue Rechnung vom 8.5.2011 eingespielt, mit der sie unter Kodierung der ICD F13.7 als erste Nebendiagnose einen Gesamtbetrag i.H.v. 7.803,70 Euro forderte. Den Differenzbetrag zu der Schlussrechnung vom 9.11.2010 i.H.v. 1.373,05 hat sie widerklagend am 11.6.2012 geltend gemacht.
Die Klägerin hat zu der Widerklage vorgetragen, die Beklagte sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 8.9.2009 -B 1 KR 11/09 R-) mit ihrer Nachberechnung 18 Monate nach Erteilen der Schlussrechnung nach Treu und Glauben (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)) ausgeschlossen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 3.757,84 Euro nebst 2 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 19.8.2011 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Widerklagend hat die Beklagte beantragt,
die Klägerin im Wege der Widerklage zu verurteilen, an sie 1.373,05 Euro nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.5.2012 zu zahlen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Widerklage abzuweisen.
Die Beklagte hat zu der Widerklage ausgeführt, dass die Klägerin angesichts des von ihr selbst eingeleiteten Prüfverfahrens und des sich anschließenden Rechtsstreits gar kein schutzwürdiges Vertrauen in die Schlussrechnung habe entwickeln können. Denn gerade sie selbst habe die Rechnung vom 9.11.2010 ja für unzutreffend gehalten. Zudem sei das MDK-Prüfverfahren frühestens mit dessen Gutachten vom 11.5.2011 beendet gewesen, sodass sie die Schlussrechnung am 8.5.2012 binnen Jahresfrist korrigiert habe.
Das SG hat gem. § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Prof. Dr. I.1, Chefarzt der Klinik für Neurologie der Kliniken N in N., mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Dieser hat am 26.4.2015 und 12.2.2016 u.a. ausgeführt, die Dauer der Krankenhausbehandlung sei medizinisch notwen...