Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziales Entschädigungsrecht: Recht der Opferentschädigung bei behauptetem sexuellen Missbrauch in der Kindheit. Beweisführung bei nicht mehr objektiv feststellbaren Straftaten
Orientierungssatz
1. Stehen für die Geltendmachung von Ansprüchen aus Opferentschädigung lediglich die Aussagen des Opfers einer mutmaßlichen Straftat (hier: sexueller Missbrauch im Kindesalter) zur Verfügung, so ist der Beweis nicht schon dann als erbracht anzusehen, wenn es an Umständen fehlt, welche die Aussage zur mutmaßlichen Tat widerlegen. Vielmehr müssen Umstände gegeben sein, die objektiv und nachprüfbar für die Richtigkeit bzw. für die Erlebnisfundiertheit der Darstellung des mutmaßlichen Opfers sprechen.
2. Die Anknüpfungstatsachen als ohne Sachkunde feststellbaren Tatsachen für ein Sachverständigengutachten im sozialgerichtlichen Verfahren können nur vom Gericht selbst festgelegt werden. Legt ein gerichtlich beauftragter Sachverständiger seinem Gutachten dagegen selbst gesetzte Anknüpfungstatsachen zugrunde, so ist das Gutachten fehlerhaft. Das gilt auch dann, wenn im Beweisbeschluss keine ausreichenden Anknüpfungstatsachen enthalten sind.
3. Einzelfall zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit von Angaben zu einer nicht mehr ermittelbaren Straftat als Voraussetzung von Ansprüchen aus Opferentschädigung.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 21.01.2014 geändert und die Klage abgewiesen.
Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um Leistungen für die Klägerin nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) wegen eines von der Klägerin behaupteten sexuellen Missbrauchs durch den Vater und Gewalteinwirkungen auch durch die Mutter.
Die am 00.00.1965 geborene Klägerin stellte am 13.05.2009 im Alter von 44 Jahren bei dem Beklagten einen Antrag auf Versorgung nach dem OEG. Dazu gab sie an, sie sei in der Zeit von 1970 bis 1981 vom Vater sexuell missbraucht worden und von beiden Elternteilen körperlich misshandelt worden. Daraus sei eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) und ein Borderline-Syndrom entstanden, unter dem sie heute noch leide.
Die Klägerin trug vor, in der Kindheit habe sie Streit der Eltern erlebt. Der Vater sei Alkoholiker gewesen. Im Alter von 10 Jahren hätten sich die Eltern getrennt. Bis dahin habe sie die Großmutter als Stütze gehabt. Als sie 17 Jahre alt gewesen sei, habe sich der Vater umgebracht. Mit 19 Jahren sei sie von zu Hause ausgezogen. Erinnerungen an den sexuellen Missbrauch durch den Vater reichten bis in das 5. Lebensjahr zurück.
Der Beklagte gab daraufhin ein psychologisches Glaubhaftigkeitsgutachten in Auftrag. In ihrem Gutachten vom 23.11.2010 kam die Dipl.-Psychologin G zu dem Ergebnis, dass bezüglich der angeschuldigten Ereignisse eine Beeinträchtigung der Aussagetüchtigkeit der Klägerin vorliege. Eine Verlässlichkeit der Angaben der Klägerin, von ihrem Vater sexuell missbraucht und von beiden Eltern massiv gezüchtigt worden zu sein, sei mit psychologischen Mitteln nicht zu belegen. Die Frage der Glaubhaftigkeit müsse offen bleiben.
Auf der Basis dieser Ermittlungen lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 26.01.2011 die Versorgung nach dem OEG in Verbindung mit dem BVG ab. Ein schädigender Tatbestand im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG sei nicht zu beweisen. Die Angaben der Klägerin könnten wegen des negativen aussagepsychologischen Gutachtens nicht verwertet werden. Der Widerspruch der Klägerin gegen diese Entscheidung wurde mit Widerspruchsbescheid vom 11.04.2011 zurückgewiesen.
Hiergegen hat die Klägerin zum Sozialgericht (SG) Düsseldorf Klage erhoben. Die Klägerin hat vorgetragen, die sexuellen Übergriffe durch ihren Vater hätten im Alter von etwa 3 Jahren begonnen. Ihr Vater habe sie immer im Intimbereich gestreichelt und sein Geschlechtsteil an ihr gerieben. Mehr sei zunächst nicht gewesen. Extrem sei es geworden, als die Klägerin 5 Jahre alt gewesen sei. Ihre Mutter habe andere Männerbekanntschaften gehabt und ihr Vater hätte sehr viel getrunken. Er sei dann gewalttätig geworden und die Klägerin habe dann mit ihrer Mutter mehrfach aus der Wohnung fliehen müssen. Ihr Vater habe sich ihr immer mehr zugewandt, auch sexuell. Er habe aus ihr offensichtlich eine "kleine perfekte Geliebte" machen wollen. So sei es weiter bis zum 10. Lebensjahr gegangen. Im 10. Lebensjahr habe die Klägerin ihre Periode bekommen und sei auch sonst schon recht weit entwickelt gewesen. Ihre Eltern hätten sich scheiden lassen und ihr Vater sei mehrfach ausgezogen und dann wiedergekommen. Es sei so weiter gegangen bis zu seinem Tod. Er habe die Klägerin das letzte Mal vergewaltigt, als sie 13 Jahre alt gewesen sei. Als sie 16 Jahre alt gewesen sei, habe er es noch einmal versucht, was aber wegen Erektionsschwierigkeiten wohl nicht geklappt habe. Als die Klägerin 17 Jahre alt gewesen sei, habe ihr Vater sich erhängt.
Das SG hat ...