Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Umzug und Erwerb von Wohnungsbaugenossenschaftsanteilen. Wohnungsbeschaffungskosten oder Mietkaution. analoge Anwendung § 22 Abs 6 S 3 SGB 2. Rechtswidrigkeit der Darlehenstilgung durch Aufrechnung. Aussetzung der Tilgung. verfassungskonforme Auslegung
Orientierungssatz
1. Für Genossenschaftsanteile, die bei Anmietung einer neuen Unterkunft bei einer Wohnungsbaugenossenschaft erworben werden müssen, kann in analoger Anwendung des § 22 Abs 6 S 3 SGB 2 - wie bei einer Mietkaution - nur ein Darlehen gewährt werden.
2. Die Verfügung der Tilgung des bewilligten Darlehens durch Aufrechnung gem § 42a SGB 2 ist rechtswidrig, da unter verfassungskonformer Auslegung des § 22 Abs 6 S 3 SGB 2 im atypischen Fall eines Darlehens für Genossenschaftsanteile die Tilgung bis zum Ausscheiden des Hilfebedürftigen aus dem Leistungsbezug oder zur Auszahlung des Guthabens durch die Genossenschaft im Wege pflichtgemäßen Ermessens ausgesetzt werden kann bzw bei Ermessensreduzierung auf Null - wie hier - auszusetzen ist.
Normenkette
SGB II §§ 7, 7a, 8, 22 Abs. 6 Sätze 1, 3, § 42a Abs. 2 S. 1, § 43 Abs. 4 S. 2, § 44a Abs. 1 S. 7; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1; BGB § 551 Abs. 2-3; WoBindG § 9 Abs. 1 S. 2; GenG § 22 Abs. 4
Nachgehend
BSG (Rücknahme vom 08.12.2016; Aktenzeichen B 4 AS 24/15 R) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 27.06.2014 geändert. Der Bescheid vom 04.03.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.03.2014 wird aufgehoben, soweit der Beklagte die Aufrechnung erklärt. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Der Beklagte hat ½ der Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung des Beklagten zur zuschussweisen Bewilligung von Leistungen zum Erwerb von Genossenschaftsanteilen i.H.v. 2.290,00 EUR. Hilfsweise wendet sich der Kläger gegen eine Aufrechnung gegen seinen laufenden Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.
Der am 00.00.1982 geborene Kläger bezieht laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vom Beklagten. Der Kläger leidet unter einer psychiatrischen Erkrankung. Er hat einen GdB von 100 und steht unter Betreuung. Der Aufgabenkreis des Betreuers umfasst die Gesundheitsfürsorge und Aufenthaltsbestimmung, alle Vermögensangelegenheiten, die Vertretung bei Behörden sowie die Befugnis zum Empfang von Post und Wohnungsangelegenheiten.
Der Kläger wohnte zunächst in der N Straße 00 in L. Der Vermieter kündigte das Mietverhältnis am 05.12.2013, weil der Kläger in einer akuten Psychose die Wohnung beschädigt hatte. Im Dezember 2013 erhielt der Kläger ein Angebot von der Gemeinnützigen Baugenossenschaft E eG über eine 59,08 qm große Wohnung in der T Straße 00 in S. In derselben Wohnanlage wohnt die Mutter des Klägers. Die Kosten für die Wohnung betrugen 505,70 EUR (Grundmiete 353,70 EUR, Betriebskostenvorauszahlung 69,00 EUR, Heizkostenvorauszahlung 65,00 EUR, Stellplatz 18,00 EUR). Voraussetzung für den Abschluss des Mietvertrags waren der Erwerb der Mitgliedschaft bei der Genossenschaft (160,00 EUR), zusätzlicher Genossenschaftsanteile (13 x 160,00 EUR) sowie die Zahlung eines Beitrittsgeldes i.H.v. 50,00 EUR.
Der Kläger beantragte am 20.12.2013 die Zusicherung des Beklagten zur Berücksichtigung der Aufwendungen für die Wohnung in S. Er fügte eine ärztliche Bescheinigung von Dr. N1, Universitätsklinik L, bei, wonach ein Umzug in die Nähe der Familie in S aus ärztlicher Sicht zu befürworten sei.
Mit Bescheid vom 04.03.2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger vorläufig darlehensweise 2.290,00 EUR für die Bestreitung der Genossenschaftsanteile. Er kündigte an, das Darlehen in monatlichen Raten von 10 % des Regelbedarfs voraussichtlich beginnend ab 01.04.2014 gegen den laufenden Leistungsanspruch gem. § 42a Abs. 2 SGB II aufzurechnen. Beim Ausscheiden des Klägers aus dem Leistungsbezug werde der noch nicht getilgte Anteil des Darlehens nach Erstattung des Vermieters gem. § 42a Abs. 3 Satz 1 SGB II sofort fällig.
Gegen den Bescheid vom 04.03.2014 legte der Kläger am 18.03.2014 Widerspruch ein. Die Bewilligung der Genossenschaftsanteile sei zu Unrecht nur darlehensweise erfolgt.
Mit Bescheid vom 18.03.2014 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Die Übernahme einer Mietkaution sehe das Gesetz grundsätzlich in Darlehensform vor, weil eine Mietkaution in der Regel an den Vermieter zurückfließe. Wegen der vergleichbaren Interessenlage im Hinblick auf den Sicherungscharakter sei der Erwerb von Genossenschaftsanteilen der Zahlung einer Mietkaution gleichzustellen. So würde auch die Gemeinnützige Baugenossenschaft E eG auf ihrer Internetseite ausführen, dass anstelle einer Kaution die Mitglieder bei einem Vertragsabschluss weitere Anteile an der Genossenschaft erwerben würden. Die Mitgliedschaft in der Genossenschaft sei an die Dauer des Mietverhältnisses gebunden. Der Auff...