Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Krankenhaus. Aufrechnungsverbot im Sicherstellungsvertrag Nordrhein-Westfalen. Vorrangigkeit einer vertraglichen Regelung über den Zinssatz vor § 288 Abs 2 BGB. Zulässigkeit der Widerklage im Berufungsverfahren ohne Einwilligung des Gegners. Verfassungsmäßigkeit der Rückwirkung von § 8 Abs 9 KHEntgG aF
Orientierungssatz
1. § 15 Abs 4 S 2 des nordrhein-westfälischen Sicherstellungsvertrages nach § 112 Abs 2 S 1 Nr 1 SGB 5 statuiert ein vertragliches Aufrechnungsverbot (vgl LSG Essen vom 1.9.2011 - L 16 KR 212/08).
2. Eine vertragliche Regelung, die die Zinshöhe eindeutig festlegt, steht einer Anwendung eines Zinssatzes von 8 vH über dem Basiszinssatz nach § 288 Abs 2 BGB entgegen (vgl LSG Essen vom 4.11.2004 - L 5 KR 161/03).
3. Im sozialgerichtlichen Verfahren ist eine Widerklage nach § 100 SGG im Berufungsverfahren auch ohne Einwilligung des Gegners möglich. Auch der in der Vorschrift geforderte Zusammenhang des mit der Widerklage erhobenen Anspruchs mit dem mit der Klage geltend gemachten Anspruch ist gegeben, wenn ein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang besteht.
4. § 8 Abs 9 KHEntgG aF ist auch insoweit verfassungsgemäß, als die Vorschrift rückwirkend zum 1.1.2007 in Kraft getreten ist.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 10.12.2008 geändert. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 328,94 Euro nebst 2% Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 18.12.2007 zu zahlen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Auf die Widerklage der Beklagten wird die Klägerin verurteilt, an die Beklagte 328,94 Euro nebst 2% Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14.02.2011 zu zahlen. Die Beklagte trägt die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagten ein Erstattungsanspruch zusteht, weil sie für im I. Quartal 2007 abgeschlossene Krankenhausbehandlungen die Vergütungen ohne Kürzung um den sogenannten Krankenhaus-Sanierungsbeitrag bezahlt hat.
Die Klägerin ist eine gemeinnützige GmbH und Betreiberin eines nach § 108 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zugelassenen Krankenhauses. Nach § 8 Abs. 9 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG - in der Fassung des Artikel 19 Nr. 2 des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-WSG) vom 26.03.2007 (BGBl I, 378), im Folgenden: KHEntgG a.F.) war mit Wirkung vom 01.01.2007 (Art. 46 Abs. 5 GKV-WSG) bei Entlassungen nach dem 31.12.2006 ein Abschlag von 0,5 v.H. des Rechnungsbetrages vorzunehmen und auf der Rechnung des Krankenhauses auszuweisen (Satz 1 a.a.O.). Soweit Rechnungen von Krankenkassen ohne Abschlag bezahlt worden waren, war der Krankenhausträger verpflichtet, jeweils einen Betrag in Höhe von 0,5 v.H. des Rechnungsbetrages an die jeweilige Krankenkasse zu erstatten (Satz 2 a.a.O.). Diese Regelung galt vom 01.01.2007 bis 31.12.2008, sie ist zum 01.01.2009 durch das Gesetz zum ordnungspolitischen Rahmen der Krankenhausfinanzierung vom 17.03.2009 (BGBl I, 534) aufgehoben worden.
Da das GKV-WSG erst am 30.03.2007 verkündet worden ist, erfolgten im I. Quartal 2007 noch keine Rechnungskürzungen. Nach einer zwischen den damaligen Spitzenverbänden der Krankenkassen und der Deutschen Krankenhausgesellschaft e.V. (DKG) getroffenen Empfehlungsvereinbarung zur technischen Umsetzung des Abschlags wurden aus edv-technischen Gründen auch in der Zeit vom 01.04. bis 30.06.2007 die Rechnungen nicht schon im Abrechnungsverfahren gekürzt, sondern insoweit Erstattungsansprüche der Krankenkassen ausgewiesen. Während es auf Bundesebene in der Vereinbarung den Krankenhäusern freigestellt wurde, ob sie den Erstattungsbetrag (passiv) verrechnen lassen oder (aktiv) zahlen wollten, hat die Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen sich wegen eines Aufrechnungsverbotes in dem Landesvertrag nach § 112 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V gegen die Verrechnung ausgesprochen und außerdem den Krankenhäusern empfohlen, den bis zum 30.06.2007 aufgelaufenen Betrag nicht als Einmalbetrag an die Krankenkassen zu zahlen und diesbezüglichen Forderungen der Krankenkassen zu widersprechen.
Die Beklagte hat für den Zeitraum vom 01.01.2007 bis 30.06.2007 unter Berufung auf § 8 Abs. 9 Satz 2 KHEntgG a.F. einen Erstattungsanspruch gegen die Klägerin in Höhe von 9.615,11 Euro geltend gemacht. Da sich die Klägerin weigerte, diesen Betrag zu zahlen, hat die Beklagte den von ihr errechneten (unstreitigen) Erstattungsbetrag mit Forderungen wegen der Krankenhausbehandlung von anderen Patienten in der Zeit vom 01.07. bis 13.09.2007 verrechnet. Die Aufrechnung erfolgte mit Schreiben vom 13.09.2007 gegen (unstreitige) Rechnungen in den Behandlungsfällen S, P, T, M, F, C1, C2.
Mit der am 18.12.2007 erhobenen Klage hat die Klägerin zum einen diesen Betrag gefordert ...