Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Zulassung der Berufung im Gerichtsbescheid wegen grundsätzlicher Bedeutung durch den Kammervorsitzenden ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter. Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Betriebs- und Heizkostennachzahlung nach Jahresabrechnung. Fälligkeit. Abrechnungsfrist des § 556 Abs 3 S 2 BGB. Ausschlussfrist. mietvertraglichen Pflichten und Pflichtfreistellungen iS von § 556 Abs 3 S 3 BGB

 

Orientierungssatz

1. Lässt ein Sozialgericht die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gem § 144 Abs 1 und 2 Nr 1 SGG zu, ist eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid des Kammervorsitzenden nach § 105 Abs 1 S 1 SGG verfahrensfehlerhaft (vgl BSG vom 16.3.2006 - B 4 RA 59/04 R = SozR 4-1500 § 105 Nr 1).

2. Berechtigte Nebenkostenforderungen eines Vermieters bilden im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit einen nach § 22 Abs 1 S 1 SGB 2 zu berücksichtigenden Bedarf. Nicht fällige oder von vornherein gar nicht bestehende Forderungen können keine aktuell notwendigen und damit auch keine angemessenen Unterkunftskosten sein.

3. Die zwölfmonatige Abrechnungsfrist des § 556 Abs 3 S 2 BGB ist eine Ausschlussfrist, mit deren Versäumung der Vermieter grundsätzlich seinen Nachzahlungsanspruch verliert.

4. Es ist Sache eines Arbeitsuchenden, sich über seine mietvertraglichen Pflichten - und auch Pflichtfreistellungen iS von § 556 Abs 3 S 3 BGB - zu informieren. Versäumt er dies, kann dies einen zur Leistungspflicht des Grundsicherungsträgers führenden Bedarf iS des § 22 Abs 1 S 1 SGB 2 nicht erst bewirken.

 

Tenor

Auf die Berufung der Kläger wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 02.04.2009 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückverwiesen. Die Kostenentscheidung bleibt dem Sozialgericht vorbehalten. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten, ob die Beklagte Heiz- und Betriebskosten der Kläger für das Jahr 2005 aus einer Nebenkostenabrechnung des Vermieters vom 29.01.2007 als Leistungen nach § 22 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) übernehmen muss.

Die Kläger zu 1 und 2 sind Eheleute; die Kläger zu 3 und 4 sind ihre Kinder. Sie bewohnen gemeinsam eine Wohnung, deren Mieter laut Mietvertrag der Kläger zu 1 und deren Vermieter der Vater des Klägers zu 1 ist. Seit dem 09.06.2005 beziehen die Kläger als Bedarfsgemeinschaft Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende.

Mit Schreiben vom 29.01.2007 teilte der Vermieter dem Kläger zu 1 mit, für das Jahr 2005 habe er monatlich 98,10 EUR Heizkostenvorauszahlung, für sonstige Nebenkosten monatlich 163,70 EUR erhalten; zusammen betrage das für zwölf Monate 3.141,60 EUR. Tatsächlich seien jedoch Kosten i.H.v. 3.580,75 EUR entstanden. Den Differenzbetrag von 439,15 EUR bitte er bis zum 28.02.2007 zu überweisen.

Mit Bescheid vom 23.03.2007, adressiert an die Bevollmächtigten der Kläger und Bezug nehmend allein auf den Kläger zu 1, lehnte die Beklagte die beantragte Übernahme dieser Kosten ab. Betriebskosten müssten spätestens zwölf Monate nach Ende des Abrechnungszeitraums "dem Mieter zugegangen sein". Die Abrechnung für die Kläger sei jedoch erst am 29.01.2007 erstellt worden.

Den hiergegen gerichteten Widerspruch, eingelegt durch den Kläger zu 1, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 07.12.2007 zurück. Die vom Vermieter angesetzten Vorauszahlungen seien nach § 22 SGB II geleistet worden. Nunmehr stelle der Vermieter mit Abrechnung vom 29.01.2007 eine Nachforderung für 2005. Nach § 556 Abs. 3 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) betrage die Frist für den Vermieter zur Mitteilung der Abrechnung an den Mieter zwölf Monate nach Ende des Abrechnungszeitraumes. Mit der danach eintretenden sog. Abrechnungsreife könne laut § 556 Abs. 3 Satz 3 BGB eine Nachforderung von Nebenkosten an den Mieter durch den Vermieter nicht mehr erfolgen. Eine Ausnahme bestehe nur, wenn der Vermieter nachweise, dass er die verspätete Geltendmachung nicht zu vertreten habe. Mangels gesetzlicher Grundlage für die Nachforderung sei die angefochtene Entscheidung rechtens. Der Kläger zu 1 müsse sich mit seinem Vater, der sein Vermieter sei, selbst einigen; ein Rechtsverhältnis zwischen der Beklagten und dem Vermieter habe nie bestanden.

Hiergegen haben (wie die Kläger mit Schriftsatz vom 27.06.2008 ausdrücklich klargestellt haben) die Kläger (und nicht nur der Kläger zu 1) am 04.01.2008 Klage erhoben und vorgetragen, es sei der Beklagten verwehrt, sich auf eine zivilrechtliche Norm zu berufen. Diese Norm gelte allenfalls im Verhältnis zwischen Mieter und Vermieter; für die Leistungspflicht der Beklagten spiele § 556 Abs. 3 BGB keine Rolle. Dem Kläger zu 1 könne nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass er in Unkenntnis einer Ausschlussfrist die Rechnung beglichen habe. Er habe nach der Erstellung der Betriebskostenabrechnung die tatsächlichen Unterkunftskosten aufzubringen, die deshalb auch von der Beklagten zu übernehmen seien.

Die Kläger haben s...

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