Entscheidungsstichwort (Thema)
Opferentschädigung im Falle der Härteregelung nach § 10 a OEG
Orientierungssatz
1. Auch eine Entschädigung nach der Härteregelung des § 10 a OEG setzt eine Schädigung i. S. von § 1 Abs. 1 S. 1 OEG im maßgeblichen Zeitraum voraus. Naturgemäß sind die Möglichkeiten staatlicher Verbrechensbekämpfung im familiären Bereich beschränkt. Jedoch sind Gewalttaten, die sich vor dem Hintergrund einer häuslichen Gemeinschaft ereignet haben, von einer Entschädigung nicht ausgeschlossen.
2. Der rechtswidrige tätliche Angriff, die gesundheitliche Schädigung und die Gesundheitsstörung müssen bewiesen sein.
3. Zur Feststellung der gesundheitlichen Beeinträchtigung in Folge der Gewalttat muss zwischen dieser und den geltend gemachten Schädigungsfolgen ein Ursachenzusammenhang nach der im Sozialrecht geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung bestehen.
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 17.01.2007 wird zurückgewiesen.
Die Anschlussberufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
Der Beklagte erstattet der Klägerin auch die ihr im Berufungsverfahren entstandenen Kosten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin beansprucht Versorgungsleistungen nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz- OEG -) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Die 1960 geborene Klägerin hat acht Geschwister, je drei ältere und drei jüngere Brüder und zwei jüngere Schwestern. Sie besuchte von 1976 bis 1978 die Berufsfachschule für Hauswirtschaft und Ernährungslehre, die sie erfolgreich abschloss. Danach übernahm sie in C eine Stelle als Hauswirtschaftsgehilfin in einer Familie. Nach einem Jahr nahm sie eine Arbeit als Küchenhilfe in einem Restaurant an. Ihren eigentlichen Berufswunsch, Kinderkrankenschwester werden zu wollen, verfolgte sie nicht weiter, nachdem sie ihren späteren Ehemann kennen gelernt hatte. Im August 1981 wurde ihre Tochter O geboren. Anfang 1982 heiratete die Klägerin. Sie nahm abends stundenweise eine Tätigkeit auf. 1988 wurde das zweite Kind E geboren. In der Ehe kam es zunehmend zu Problemen. In der Folge trennte sich die Klägerin 1989 von ihrem Ehemann und ließ sich 1992 von ihm scheiden. Ein beruflicher Wiedereinstieg scheiterte nach Angaben der Klägerin an ihren gesundheitlichen Problemen. Gegenwärtig lebt sie von Sozialhilfeleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) - Sozialhilfe -.
Ihre zweitjüngste, alkoholkranke Schwester N berichtete der Klägerin nach einem Selbstmordversuch 1995 von einem sexuellen Missbrauch durch ihre Brüder. In diesem Jahr erinnerte die Klägerin sich nach ihren Angaben erstmals an sexuellen Missbrauch in ihrer eigenen Kindheit durch ihre Brüder. Sie entwickelte verschiedene Symptome einer psychischen Erkrankung, ua Selbstverletzungen, gestörtes Essverhalten, gestörter Schlaf. In der Folgezeit wurde sie mehrfach psychiatrisch/psychotherapeutisch behandelt. Sie war nicht mehr in der Lage, den noch bei ihr lebenden Sohn zu betreuen, der im August 2001 in einem SOS-Kinderdorf aufgenommen wurde.
Am 09.01.2002 erstattet die Klägerin bei der Kreispolizeibehörde H Strafanzeige gegen ihre Brüder wegen sexuellen Missbrauchs zu ihrem Nachteil. Sie gab an, sie wisse, dass die Straftaten zu ihrem Nachteil bereits verjährt seien, wolle aber dennoch alles berichten, weil sie den Verdacht habe, dass ihre Nichten von sexuellem Missbrauch betroffen sein könnten. Zum Tathergang gab die Klägerin ua an, es sei für sie sehr schwer, die ganzen Missbrauchsfälle nachzuvollziehen, zumal immer wieder räumliche Veränderungen stattgefunden hätten. Man habe sehr beengt gewohnt. Sie habe zeitweise, etwa zwischen dem siebten und dem neunten Lebensjahr, das Zimmer mit ihren Brüdern teilen müssen. Aus dieser Zeit habe sie die ersten Erinnerungen an einen Missbrauch durch ihren Bruder L, der immer öfter in ihr Bett gekommen sei. Dieser habe auch den Geschlechtsverkehr mit ihr ausgeführt, oft mehrmals in der Woche. Sie habe dies zunächst als normal empfunden, da sie vorher wohl auch von ihren Vater sexuell missbraucht worden sei. Auch ihr Bruder Q habe sie missbraucht. Es sei sowohl zum Geschlechtsverkehr als auch zum Analverkehr gekommen. Die Klägerin schilderte vor der Polizei einzelne Missbrauchsfälle, an die sich zu erinnern glaubte.
Die Kreispolizeibehörde H vernahm am 24.01.2002 die Schwester der Klägerin C S als Zeugin. Diese bekundete einen sexuellen Missbrauch zu Lasten ihrer eigenen Person und ihrer Schwester N durch die Brüder X und X1. Der Bruder I habe zugeschaut. Zu diesem Zeitpunkt habe die Klägerin nicht mehr zuhause gewohnt. Die Schwester N S war ärztlich bescheinigt aus gesundheitlichen Gründen nicht vernehmungsfähig. Weiterhin vernahm die Kreispolizeibehörde die Schwägerin D S am 11.02.2003 als Zeugin. Diese bekundete, durch die Klägerin und deren Schwester Zweifel bekommen zu haben, ob einige Verhaltensauffälligkeiten ihrer Tochter T auf sexuellen Missbrauch du...