Entscheidungsstichwort (Thema)

Rentenversicherungspflichtiges Arbeits-/Beschäftigungsverhältnis. Ghettoarbeit. Ghetto Moghilev. Transnistrien. Rumänien. Zahlbarmachung von Ghettorente

 

Orientierungssatz

1. Zur Anerkennung einer (fiktiven) Ghettobeitragszeit im Ghetto Moghilev in Transnistrien / Rumänien.

2. Transnistrien (Rumänien) war in der Zeit von 1941 bis 1944 nicht vom Deutschen Reich iS des § 1 Abs 1 S 1 Nr 2 ZRBG besetzt.

3. Nach § 43 BEG wird nicht jede Verfolgungsmaßnahme eines ausländischen Staates nach dem BEG entschädigt, sondern nur eine Freiheitsentziehung durch einen fremden Staat unter Missachtung rechtsstaatlicher Grundsätze auf Veranlassung des Deutschen Reiches.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 14.12.2006; Aktenzeichen B 4 R 29/06 R)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 11.11.2004 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten werden auch im zweiten Rechtszug nicht erstattet.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Zahlung von Altersruhegeld (ARG) unter Berücksichtigung von Beitragszeiten für eine Beschäftigung im Ghetto Moghilev in der Zeit von Oktober 1941 bis März 1944.

Die 1930 in T (T1, T2) geborene Klägerin ist Jüdin. Der Ort T liegt in Transsylvanien und gehört seit 1920 zu Rumänien. Im Sommer 1941 lebte die Klägerin mit ihren Eltern in T. 1964 wanderte sie von Rumänien nach Israel aus und erwarb die israelische Staatsangehörigkeit.

Mit Bescheid des Regierungspräsidenten Köln vom 20.03.1968 erhielt die Klägerin eine Entschädigung wegen Freiheitsentziehung von Oktober 1941 bis März 1944 nach § 43 Bundesentschädigungsgesetz (BEG). In der eidlichen Erklärung vom 24.10.1967 hatte sie angeben: "Etwa im Oktober 1941 kamen wir in das AL Moghilew in Transnistrien an. Ich musste ein vorgeschriebenes Judenkennzeichen anlegen und ständig tragen, lebte in haftähnlichen und menschenunwürdigen Bedingungen und wurde in jeder Hinsicht diskriminiert und gedemütigt. Ich litt oft unter Hunger und Kälte und machte verschiedene Krankheiten durch. Im März 1944 wurde ich befreit und kehrte nach T2 zurück."

Im Dezember 1990 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Anerkennung von Versicherungszeiten. Sie gab im Fragebogen über zurückgelegte Beschäftigungszeiten in Rumänien an, sie habe in der Zeit vom 09.05.1954 - 10.04.1964 eine Tätigkeit als Schneiderin ausgeübt. Im Fragebogen zu den Ersatzzeiten trug sie ein, dass sie sich von Oktober 1941 bis März 1955 in Mogilev/Transnistrien in Haft befunden und von Oktober 1941 bis März 1944 einen Judenstern getragen habe (28.05.1991). Des weiteren erklärte die Klägerin im Antrag auf Anerkennung von Zeiten nach dem Fremdrentengesetz (FRG), dass sie von Geburt bis 1941 und von 1944 bis 1964 in T1 gewohnt habe, für die Zeit 1941 bis 1944 gab sie als Anschrift "NS-Verfolgung" an. Sie habe in der Zeit von 1937 bis 1941 und von 1944 bis 1948 die Schule besucht. Unter dem 15.09.1991 erklärte die Klägerin, dass sie in T1 geboren sei und dort ausgenommen von den Verfolgungsjahren gelebt habe. Durch Bescheid vom 24.11.1993 merkte die Beklagte für die Klägerin 144 Monate Beitragszeit, 25 Monate Ersatzzeit, 9 Monate Anrechnungszeit und 28 Monate Berücksichtigungszeit für die Zeit vom 01.01.1945 bis 10.04.1964 vor. Die Beklagte ging davon aus, dass die Klägerin dem deutschen Sprach- und Kulturkreis (dSK) angehörte. Von dem im Bescheid vom 08.07.1994 bewilligten Recht auf Nachentrichtung freiwilliger Beiträge nach § 22 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) für die Zeit vom 01.01.1987 - 31.12.1989 machte die Klägerin innerhalb der Frist keinen Gebrauch. Den Antrag auf freiwillige Beitragsnachentrichtung nach § 1233 Reichsversicherungsordnung (RVO) nahm die Klägerin 1994 zurück.

1993 beantragte die Klägerin bei der Claims Conference Leistungen aus dem Artikel 2 Fund. Sie gab an, sie habe von Oktober 1941 bis März 1944 im Ghetto in Moghilev/Transnistrien gelebt. Bei Kriegsausbruch habe sie mit ihren Eltern in T1 gelebt. Sie sei zusammen mit ihren Eltern im Zuge der antijüdischen Verfolgungsmaßnahmen im Herbst 1941 deportiert wurden. Im Oktober 1941 seien sie in das Ghetto Moghilev/Transnistrien, gekommen. Sie habe ein vorgeschriebenes Judenkennzeichen anlegen und ständig tragen müssen, in haftähnlichen und menschenunwürdigen Bedingungen gelebt und sei diskriminiert und gedemütigt worden. Sie habe an Hunger, Kälte und Krankheiten gelitten. Im März 1944 sei sie befreit worden und nach T1 zurückkehrt. Mit Schreiben vom 14.01.2000 lehnte die Claims Conference den Antrag ab. Das von der Klägerin im Antrag geschilderte Verfolgungsschicksal entspreche nicht den bekannten historischen Tatsachen. Deshalb könne das in dem Antrag an den Artikel 2 Fund geschilderte Verfolgungsschicksal nicht als nachgewiesen angesehen werden. Einen Antrag nach dem Gesetz zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" (EVZStiftG) stellte die Klägeri...

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