Entscheidungsstichwort (Thema)
Anpassung des Jahresarbeitsverdienstes einer Unfallrente bei wesentlicher Änderung der Erwerbsfähigkeit des Versicherten
Orientierungssatz
1. Nach § 573 Abs. 3 RVO ist der Jahresarbeitsverdienst den Verdiensterhöhungen anzupassen, die z. Zt. des Arbeitsunfalls von der Erreichung eines bestimmten Lebens- oder Berufsjahres ab durch Tarif festgesetzt oder sonst ortsüblich sind, wenn der Unfallgeschädigte infolge des Arbeitsunfalls einer Erwerbstätigkeit nicht mehr nachgehen kann. Die Neufestsetzung nach § 573 RVO bzw. § 90 SGB 7 ist ein typisierender Fall, der zu einer wesentlichen Veränderung des Wertes des jeweiligen Rechts i. S. von § 48 Abs. 1 S. 1 SGB 10 führt.
2. War bei Abschluss eines Vergleichs über die Höhe der Unfallentschädigung unklar, welche Ausbildung der Versicherte zu welchem Zeitpunkt ohne den Unfall voraussichtlich abgeschlossen hätte und war darin kein fester Betrag, sondern eine Berechnungsgrundlage vereinbart, so ist eine Rentenerhöhung wegen höherer MdE aufgrund einer wesentlichen Änderung der Erwerbsfähigkeit des Versicherten zulässig.
3. Einer Neufestsetzung der Unfallrente steht die Vorschrift des § 48 SGB 10 nicht entgegen. Die Anpassung an die Verdiensterhöhungen setzt lediglich voraus, dass bereits zum Zeitpunkt des Unfalls nach tariflicher oder ortsüblicher Festlegung Verdiensterhöhungen in Abhängigkeit von einem bestimmten Lebensalter oder bestimmten Berufsjahren fest zu erwarten waren (BSG Urteil vom 26. 9. 1986, 2 RU 1/86).
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 08.01.2016 teilweise abgeändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 09.10.2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.11.2014 verurteilt, dem Kläger ab dem 01.01.1996 höhere Verletztenrente zu zahlen und dabei den ab dem 01.04.1989 nach § 573 Abs. 3 RVO angepassten, erhöhten Jahresarbeitsverdienst eines Studienassessors im Hessischen Landesdienst zugrunde zu legen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Die Beklagte trägt 3/4 der erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Klägers. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Höhe des Jahresarbeitsverdienstes (JAV) als Grundlage für die Berechnung der Verletztenrente des Klägers.
Der am 00.00.1954 geborene Kläger erlitt am 02.04.1965 im Rahmen einer Tätigkeit als Zeitungsausträger einen Fahrradunfall, bei dem er sich eine schwere offene Schädel-Hirn-Verletzung zuzog. Zu dieser Zeit war er Schüler an einer Volksschule. Aufgrund dieses Arbeitsunfalls wurde dem Kläger Verletztenrente gewährt, welche zunächst nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 50 v.H. berechnet wurde. Der Kläger beendete seine Schullaufbahn 1974 mit Erlangung der allgemeinen Hochschulreife an einem Wirtschaftsgymnasium, wobei er nach seinem Unfall zweimal eine Klasse wiederholt hatte. Im Jahre 1975 begann er ein Lehramtsstudium. Mit Bescheid vom 09.01.1976 setzte die Rechtsvorgängerin der Beklagten, die Berufsgenossenschaft Druck und Papierverarbeitung (im Folgenden: Beklagte), den JAV auf den Ortslohn eines Versicherten ab Vollendung des 21. Lebensjahres fest. Im Jahre 1979 unterbrach der Kläger sein Lehramtsstudium anlässlich eines Aufenthaltes als "Teaching Assistant" in den USA, setzte es 1980 fort und wurde auf seinen Antrag hin 1982 exmatrikuliert, wobei er finanzielle und gesundheitliche Gründe angab. Im Jahre 1984 begann er ein Studium der Rechtswissenschaft, im Jahr 1989 exmatrikulierte er sich ohne Abschluss.
Am 14.05.1984 beantragte der Kläger die Neufeststellung seines JAV nach § 573 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO). Zur Begründung führte er an, dass er ohne den Unfall Realschule und Wirtschaftsgymnasium früher abgeschlossen hätte und sein Studium mit erstem Examen sowie nach dem Referendariat sein zweites Examen absolviert hätte, sodass er zum 01.08.1979 als Studienrat eingestellt worden wäre. Mit Bescheid vom 14.09.1984 lehnte die Beklagte eine Neufestsetzung des JAV ab, da der Kläger tatsächlich keine Berufsausbildung abgeschlossen habe und bereits zu Beginn des Studiums festgestanden habe, dass er dieses wegen seiner unfallbedingten Gesichtsfeldeinschränkung nicht hätte erfolgreich abschließen können. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Studienwechsel 1984 und dem Unfall bestehe nicht. Ein voraussichtlicher Beendigungszeitpunkt könne ebenfalls nicht benannt werden.
Hiergegen erhob der Kläger am 10.10.1984 Klage beim Sozialgericht (SG) Frankfurt am Main (S 4 U 260/84). In der mündlichen Verhandlung vom 19.08.1987 schlossen die Beteiligten einen Vergleich mit folgendem Wortlaut:
"Der Vertreter der Beklagten erklärt:
Der Bescheid vom 14.09.1984 wird aufgehoben. Die Beklagte wird bei der Berechnung des JAV des Klägers ab 01.12.1982 von dem zu diesem Zeitpunkt festgesetzten Gehalt eines Studienassessors im Hessischen Landesdienst ausgehen und dem Kläger einen entsprechenden Bescheid erteilen.
Der Prozessbevollmächtigte des ...