Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Anspruch eines Sozialhilfeträgers gegen das Land Nordrhein-Westfalen auf Abruf von Erstattungen durch den Bund. Anspruchsgrundlage. Bestehen eines Erstattungsanspruchs nach § 46a Abs 1 SGB 12. Rechtmäßigkeit der Leistungsbewilligung. rückwirkende Leistungsbewilligung. Prognose einer dauerhaften vollen Erwerbsminderung
Orientierungssatz
1. Rechtsgrundlage für den Anspruch eines Sozialhilfeträgers auf Erstattung der Aufwendungen für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung gegen das Land Nordrhein-Westfalen ist § 7 SGB12AG NW.
2. Der Sozialhilfeträger hat nur dann einen Anspruch gegen das Land Nordrhein-Westfalen auf Abruf der Aufwendungen beim Bund, wenn ein Erstattungsanspruch nach § 46a Abs 1 SGB 12 besteht. Dieser hat zur Voraussetzung, dass es sich um Geldleistungen handelt, Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung bewilligt wurden und die Bewilligung rechtmäßig war.
3. Die rückwirkende Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung ist nur rechtmäßig, wenn von Anfang an die Prognose einer dauerhaften vollen Erwerbsminderung begründet war.
Tenor
Die Berufungen des Klägers gegen die Urteile des Sozialgerichts Münster vom 31.08.2021 werden zurückgewiesen.
Die Klagen werden abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert wird auf 2.500.000 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Erstattung von Grundsicherungsleistungen nach§ 46a SGB XII für die Jahre 2013 und 2014.
I. Der Kläger ist eine öffentlich-rechtliche Körperschaft, die aus den Kreisen und kreisfreien Städten der früheren Provinz Westfalen und des früheren Landes Lippe gebildet wird (§§ 1, 2 LVerbO NRW). Er bewilligte zahlreichen, zuletzt von ihm in den Anlagen K 11 und K 12 zu seinem Schriftsatz vom 10.06.2024 aufgeführten Personen im Jahr 2013 Sozialhilfeleistungen in Form der Kostenübernahme für eine stationäre Einrichtung. Im Jahr 2017 ersuchte er gem.§ 45 SGB XII den zuständigen Träger der Deutschen Rentenversicherung (DRV), die medizinischen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Grundsicherung bei Erwerbsminderung (§ 41 Abs. 3 SGB XII ) für diese Leistungsempfänger zu prüfen. Auf der Grundlage der entsprechenden Feststellungen der DRV bewilligte er den Personen, bei denen die DRV nach seiner Meinung ab dem Jahr 2013 rückwirkend das Vorliegen einer vollen Erwerbsminderung auf Dauer festgestellt habe, den inkludierten Lebensunterhalt für das Jahr 2013 als Grundsicherung.
II. Mit Schreiben vom 22.12.2017 forderte der Kläger den Beklagten auf, an ihn 1.863.628,30 EUR zu zahlen. Bei in einer Anlage 1 aufgeführten Personen sei durch die DRV im Jahr 2017 rückwirkend festgestellt worden, dass diese bereits 2013 grundsicherungsberechtigt gewesen seien. Bei weiteren, in einer Anlage 2 aufgeführten Personen sei eine entsprechende Feststellung durch die DRV zu erwarten, weshalb die Forderungssumme sich für 2013 um 1.186.677,29 EUR erhöhen werde. Dem Schreiben war eine formularmäßige "Abrufung" von 2.484.837,73 (100 % der nach Meinung des Klägers erbrachten Grundsicherungsleistungen) beigefügt.
Am 28.12.2017 hat der Kläger bei dem Sozialgericht Münster gegen den Beklagten die (erste) Klage ( S 20 SO 272/21 ) erhoben auf Zahlung der 1.863.628,30 EUR zuzüglich Zinsen sowie auf Feststellung, dass der Beklagte verpflichtet sei, "dem Kläger einen Anteil von 75% der für das Jahr 2013 kassenwirksam erbrachten existenzsichernden Leistungen für die in der Anlage K 2 zu der Klageschrift bezeichneten Leistungsempfänger zu erstatten, bei denen rückwirkend festgestellt wird, dass die Voraussetzungen für eine Bewilligung für Leistungen der Grundsicherung und bei Erwerbsminderung vorlagen."
Am 29.12.2017 hat der Beklagte bei dem BSG 1.863.628,30 EUR gegen die Beigeladene eingeklagt ( B 8 SO 1/17 KL). Mit Beschluss vom 25.01.2018 hat das BSG das dortige Klageverfahren im Hinblick auf das hiesige Verfahren ausgesetzt. Im Übrigen hat der Beklagte die Forderung bei der Beigeladenen nicht abgerufen. Eine Zahlung der streitgegenständlichen Beträge durch die Beigeladene an den Beklagten ist nicht erfolgt.
Der Kläger hat seine Klage wie folgt begründet: Die Klage seien zulässig. Dies gelte auch für den Feststellungsantrag, der auf ein zukünftiges Rechtsverhältnis gerichtet sei. Das qualifizierte Rechtsschutzbedürfnis dafür sei gegeben. Trotz Fehlens einer ausdrücklichen gesetzlichen Verjährungsregelung drohe diese im Hinblick auf das Urteil des BSG vom 31.05.2016 - B 1 AS 1/16 Kl zu § 46 SGB II. In diesem Urteil sei das BSG von einer vierjährigen Verjährungsfrist als allgemeinem sozialrechtlichen Prinzip ausgegangen. Maßgeblich für den Verjährungsbeginn sei die "Aufwendung" der zu erstattenden Leistung, d.h. Leistungen, die 2013 gezahlt wurden, drohten mit Ablauf 2017 zu verjähren. Die Klage sei begründet. Erst 2017 sei bei den in der Anlage K 1 genannten Pers...