Entscheidungsstichwort (Thema)
Verhängung von Verschuldenskosten bei Nichterteilung eines dem Gutachtensergebnis entsprechenden Anerkenntnisses
Orientierungssatz
1. Bei einem Pflegebedarf von 245 Minuten für die Grundpflege und einem Gesamtpflegebedarf von fünf Stunden hat der Pflegebedürftige Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung nach Pflegestufe 3.
2. Der gesetzlichen Pflegekasse können nach § 192 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG Verschuldenskosten auferlegt werden, wenn sie trotz Hinweises des Gerichts nicht bereit ist, einem eindeutigen Ergebnis der Beweisaufnahme Rechnung zu tragen und ein dem Gutachtensergebnis entsprechendes Anerkenntnis abzugeben. Ein Betrag von 1000.- €. ist in der Berufungsinstanz angemessen.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 10.02.2012 wird zurückgewiesen.
Der Beklagten werden Kosten in Höhe von 1.000,- Euro auferlegt. Im Übrigen trägt die Beklagte die außergerichtlichen Kosten des Klägers auch im Berufungs- und Revisionsverfahren.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Zahlung von Pflegegeld nach der Pflegestufe III ab Januar 2010.
Der 1947 geborene, bei der Beklagten pflegeversicherte Kläger bezieht seit März 2003 Pflegegeld nach der Pflegestufe II. Er leidet im Wesentlichen unter einem Zustand nach rechtshirnigem Mediainsult am 05.10.2002 mit brachiofacial betonter, spastischer Hemiparese links, Kontrakturen von Ellenbogen, Hand- und Fingergelenken links, Gleichgewichtsstörungen, erheblicher Stand- und Gangunsicherheit, insulinpflichtigem Diabetes mellitus mit diabetischer Neuropathie und Angiopathie sowie proliferativer diabetischer Retinopathie mit Blindheit beider Augen, inkompletter Harn- und Stuhlinkontinenz, arterieller Hypertonie, dilatativer Kardiomyopathie, Instabilität des linken oberen Sprunggelenks, Depression und Zustand nach psychotischem Erleben.
Am 07.01.2010 beantragte der Kläger die Höherstufung in die Pflegestufe III. Diesen Antrag lehnte die Beklagte nach Einholung eines Pflegegutachtens des Sozialmedizinischen Dienstes (SMD) vom 21.01.2010, in welchem ein Hilfebedarf in der Grundpflege von 216 Minuten täglich (Körperpflege 103 Minuten, Ernährung 60 Minuten, Mobilität 53 Minuten) täglich festgestellt wurde, mit Bescheid vom 10.02.2010 ab und wies den dagegen erhobenen Widerspruch nach Einholung einer ärztlichen Stellungnahme des SMD mit Widerspruchsbescheid vom 11.06.2010 zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 09.07.2010 Klage beim Sozialgericht Münster (SG) erhoben und zur Begründung ausgeführt, er sei infolge eines Schlaganfalls querschnittsgelähmt und seit Ende 2003 erblindet. Es könne sich nicht allein bewegen und sei nicht in der Lage, die Verrichtungen der Grundpflege selbständig auszuüben. Er sei rund um die Uhr, auch nachts, auf die Hilfe und Begleitung seiner Ehefrau angewiesen. Das SG hat Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt, die den Kläger betreffende Schwerbehindertenakte des Kreises X beigezogen und über den bestehenden Pflegebedarf Beweis durch Einholung eines Gutachten von Dr. S vom 14.06.2011 erhoben. Dieser hat einen Hilfebedarf in der Grundpflege von 232 Minuten täglich (Körperpflege 119 Minuten, Ernährung 62 Minuten, Mobilität 51 Minuten) ermittelt.
Mit Urteil vom 10.02.2012 hat das SG die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von Pflegegeld nach der Pflegestufe III ab dem 01.01.2010 verurteilt. Wegen erheblicher Unsicherheiten bei der Einschätzung des Pflegebedarfs sei im Grenzfall ein großzügiger Maßstab anzuwenden. Der Leistungsanspruch dürfe nicht an wenigen Minuten scheitern. Nach Auffassung der Kammer sei die Annahme der Schwerstpflegebedürftigkeit schon bei dem vom Sachverständigen ermittelten grundpflegerischen Hilfebedarf von 232 Minuten gerechtfertigt. Das Unterschreiten der zeitlichen Schnittstelle um wenige Minuten stehe der Zuerkennung der Pflegestufe III nicht entgegen.
Gegen das am 21.02.2012 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 29.02.2012 Berufung eingelegt und zur Begründung ausgeführt, der Kläger erfülle die Voraussetzungen einer Schwerstpflegebedürftigkeit gemäß § 15 Abs 3 Nr 3 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) nicht. Die Voraussetzung eines Hilfebedarfs in der Grundpflege von mindestens vier Stunden täglich sei nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. S nicht erreicht. Die Möglichkeit der Annahme einer höheren Pflegestufe, deren Vorliegen durch die Feststellungen des zugrunde liegenden Gutachtens nicht gedeckt sei, sei weder nach dem Gesetz noch der Rechtsprechung des BSG gegeben.
Der Senat hat einen Befundbericht der behandelnden Ärztin für Allgemeinärztin Dr. G vom 18.05.2012 und auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Gutachten von Dr. R vom 24.08.2012 eingeholt. Dieser hat einen Hilfebedarf in der Grundpflege von 286 Minuten täglich (Körperpflege 111 Minuten, Ernährung 62 Minuten, Mobilität 113 Minuten) festgestellt und die Auffassung vertreten, dass die Kriterien der Pflegestufe III bereits seit Januar...