Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an den Nachweis des rechtswidrigen Angriffs zur Gewährung von Opferentschädigung
Orientierungssatz
1. Zur Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG ist u. a. erforderlich, dass der behauptete rechtswidrige Angriff nachgewiesen ist. Dazu ist eine Feststellung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erforderlich bzw. mit einem so hohen Grad der Wahrscheinlichkeit, dass kein vernünftiger Mensch noch zweifelt.
2. Sind Beweismittel vorhanden, stützen diese aber das Begehren des Antragstellers nicht, so greift die auch für Gewaltopfer geltende Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG nicht. Diese Vorschrift setzt nämlich gerade das Fehlen von Beweismitteln voraus.
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 01.04.2005 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin ein Versorgungsanspruch nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) zusteht.
Die 1954 geborene Klägerin stellte am 08.10.1998 bei dem Versorgungsamt C den Antrag, ihr Versorgung nach dem OEG wegen psychischer Störungen als Folge eines sexuellen Missbrauchs im Kinderheim in den Jahren 1956 bis 1957 sowie körperlicher Misshandlungen durch die Eltern zu gewähren. Genauere Details der Tathergänge seien ihr erst in diesem Jahr bekannt geworden. Erinnerungsblitze bestünden seit 1995.
Das Versorgungsamt I, an das die Akten zuständigkeitshalber abgegeben wurden, holte schriftliche Aussagen der Eltern und der Schwester der Klägerin ein. Vorgänge zum Aufenthalt im angegebenen Kinderheim konnten trotz intensiver Bemühungen nicht beigezogen werden.
Mit Bescheid vom 22.02.2000 lehnte das Versorgungsamt den Antrag der Klägerin auf Entschädigung nach dem OEG ab, weil die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des OEG nicht erfüllt seien. Das Tatgeschehen sei nicht objektiv bewiesen, eine Gewalttat somit zulasten der Klägerin nicht nachgewiesen und nach Lage der Dinge auch nicht nachweisbar.
Den Widerspruch der Klägerin vom 08.03.2000 wies das Landesamt für Versorgung und Soziales des Landes Sachsen-Anhalt mit Widerspruchsbescheid vom 03.11.2000 zurück.
Die Klägerin hat am 04.12.2000 Klage beim Sozialgericht Detmold (SG) erhoben.
Das SG hat die Verwaltungsakten der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (heute: Deutsche Rentenversicherung Bund) beigezogen und ein psychotherapeutisches Gutachten von Frau F vom 28.05.2002 mit ergänzender Stellungnahme vom 18.11.2002 eingeholt sowie die Sachverständige in einem Termin am 04.12.2003 vernommen. Frau F hat eine chronisch komplexe posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert und die schädigungsbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit - MdE (heute: Grad der Schädigungsfolgen - GdS) mit 100 bewertet. Im Weiteren hat das SG einen Bericht der Klinik S vom 18.03.2004 und eine erneute ergänzende Stellungnahme der Frau F vom 18.11.2004 eingeholt. Der Beklagte hat den Schädigungstatbestand weiterhin als nicht bewiesen angesehen und auch die erforderliche Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs als nicht gegeben erachtet.
Mit Urteil vom 01.04.2005 hat das SG den Beklagten dazu verurteilt, der Klägerin ab Antragstellung Beschädigtenversorgung nach einer MdE von 100 zu gewähren und sich zur Begründung im Wesentlichen auf die Ausführungen der Frau F gestützt.
Hiergegen hat der Beklagte am 27.05.2005 Berufung eingelegt. Der sexuelle Missbrauch sowie die körperlichen Misshandlungen seien nicht mit dem notwendigen Vollbeweis nachgewiesen. Eine Nachweisführung sei auf der Grundlage des psychotherapeutischen Gutachtens und der beigezogenen Befundunterlagen nicht möglich. Von der bestehenden Gesundheitsstörung könne nicht auf einen ursächlichen Schädigungssachverhalt geschlossen werden. Auch die Sachverständige F selbst nehme nach der Wortwahl in ihrem Gutachten lediglich an, dass sie die Schädigungstatbestände für wahrscheinlich, nicht hingegen für (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) erwiesen halte. Im Übrigen habe sie die Angaben der Klägerin unkritisch und unreflektiert ihrer Meinungsbildung zugrunde gelegt, ohne Widersprüchlichkeiten zur Aktenlage zur Kenntnis zu nehmen oder zu hinterfragen. Gleiches gelte für die Entscheidung des Sozialgerichts.
Der Beklagte beantragt schriftlich,
das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 01.04.2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt schriftlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils für zutreffend.
Der zunächst zuständige 7. Senat des Landessozialgerichts hat die Eltern der Klägerin schriftlich befragt und sodann ein psychiatrisches Gutachten des Dr. E vom 03.04.2007 mit ergänzender Stellungnahme vom 12.06.2007 eingeholt. Der Sachverständige hat eine posttraumatische Belastungsstör...