Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlagebeschluss zum BVerfG. Asylbewerberleistung. Grundleistungen gem § 3 AsylbLG für minderjährige Kinder. Verfassungswidrigkeit der Bemessung der Grundleistungen. menschenwürdiges Existenzminimum nach Art 1 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG. keine Zwischenschaltung des höheren Fachgerichts
Leitsatz (amtlich)
1. Die Regelung über Grundleistungen nach § 3 Abs 2 S 2 und 3 iVm § 3 Abs 1 S 4 AsylbLG (im konkreten Fall: für ein sechs- bzw siebenjähriges Kind, § 3 Abs 2 S 2 Nr 2 und S 3 iVm Abs 1 S 4 Nr 1 AsylbLG) verstößt gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Anschluss an Aussetzungs- und Vorlagebeschluss des Senats vom 26.7.2010 - L 20 AY 13/09 = ZFSH/SGB 2010, 604; anhängig insoweit BVerfG - 1 BvL 10/10).
2. Diese Grundleistungen sind bereits evident unzureichend, ein menschenwürdiges Existenzminimum sicherzustellen. Das Abweichen der Leistungen nach dem AsylbLG für ein Kind bis zur Vollendung des 7. Lebensjahres von den funktional entsprechenden Leistungen nach dem SGB 2 um etwa 31 % (Stand: 2007) ist mit einem grundsätzlich niedrigeren Bedarf des vom AsylbLG erfassten Personenkreises von vorneherein nicht mehr zu erklären.
3. Auch das Abweichen der Leistungen für ein Kind ab dem 8. Lebensjahr um ca 7,4 % führt zu einem evidenten Unzureichen der Leistungen nach § 3 AsylbLG. Insofern ist zu berücksichtigen, dass sich bereits die Leistungen nach dem SGB 2 (2007) für entsprechend alte Kinder über die allgemeine verfassungsrechtliche Problematik der Leistungsbemessung im SGB 2 hinaus besonderen verfassungsrechtlichen Einwänden ausgesetzt sehen.
Orientierungssatz
1. Das Grundrecht auf menschenwürdiges Existenzminimum nach Art 1 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG hängt in seiner Geltung nicht davon ab, ob der Betroffene die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder mit einem gesicherten Aufenthaltsstatus in Deutschland lebt.
2. Ist das Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit einer bundesgesetzlichen Norm auszusetzen und nach § 80 Abs 1 BVerfGG unmittelbar die Entscheidung des BVerfG einzuholen, so bedarf es der Zwischenschaltung des im sozialgerichtlichen Instanzenzug höheren Fachgerichts nicht.
Nachgehend
Tenor
Das Verfahren wird nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz ausgesetzt. Dem Bundesverfassungsgericht wird die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob § 3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 und Nr. 3 sowie § 3 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 Asylbewerberleistungsgesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 05.08.1997 (BGBl. I 1997, S. 2022) mit dem Grundgesetz vereinbar sind.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin im Zeitraum März bis August sowie Oktober und November 2007 anstelle der von der Beklagten gewährten Grundleistungen nach § 3 Abs. 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) höhere sog. Analogleistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG in entsprechender Anwendung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe (SGB XII) zu gewähren sind.
Die am 00.00 in B geborene Klägerin war wie ihre Mutter Staatsangehörige Liberias. Ihre Mutter hält sich seit 1993 in Deutschland auf. Zum Zeitpunkt der Geburt der Klägerin besaß sie bereits eine Aufenthaltserlaubnis. Die Klägerin war im streitigen Zeitraum im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 33 i.V.m. § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Mit Einbürgerungsurkunde vom 15.03.2010 erhielt die Klägerin die deutsche Staatsangehörigkeit.
Die Mutter der Klägerin bezog vom 01.12.1995 bis zum 31.05.1999 Grundleistungen nach § 3 AsylbLG, anschließend bis zum 31.12.2002 Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Von Dezember 2002 bis Dezember 2005 war sie erwerbstätig und sicherte auf diese Weise den Lebensunterhalt für sich und die Klägerin. Von Januar bis Dezember 2006 bezog sie Arbeitslosengeld I und erzielte ein Nebeneinkommen. Anschließend bezog sie wiederum Grundleistungen nach § 3 AsylbLG. Rückwirkend ab dem 01.01.2007 bezog die Mutter (aufgrund einer Klaglosstellung im zunächst mit der Klägerin gemeinsam geführten erstinstanzlichen Klageverfahren) Leistungen nach § 2 AsylbLG.
Die Klägerin erhielt seit ihrer Geburt bis Ende Dezember 2002 Leistungen nach dem BSHG. Anschließend wurde ihr Lebensunterhalt bis Dezember 2006 durch Erwerbseinkommen ihrer Mutter sichergestellt. Erstmals seit dem 01.01.2007 bezog die Klägerin Grundleistungen nach § 3 AsylbLG. Für die Monate Januar, Februar und September 2007 wurden Leistungen jeweils durch Bescheid bewilligt (Bewilligungsbescheide vom 16.01. und 14.02.2007 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 24.02. und 23.08.2007, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird). Für die (im vorliegenden Verfahren einzig streitigen) Monate März bis August sowie Oktober und November 2007 erfolgte die Leistungsbewilligung durch faktische Auszahlung. Neben bedarfsdeckenden Unterkunfts- und Heizungskosten für die gemeinsam mit ihrer Mutter bewohnte Wohnung wurden für die Klägerin dabei folgende Leist...