Entscheidungsstichwort (Thema)
Sofortvollzug bei Entziehung der Zulassung zum Vertragsarzt
Leitsatz (amtlich)
Das Sozialgericht ist nach dem Erlass seines Endurteils für die Entscheidung über einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz nicht mehr zuständig. Die Anordnung des Sofortvollzugs (§ 86a Abs 2 Nr 5 SGG) einer Entziehung der Zulassung zum Vertragsarzt (§ 95 Abs 6 S 2 SGB 5) setzt ein besonderes öffentliches Interesse voraus, das über dasjenige hinausgeht, das den Verwaltungsakt rechtfertigt. Dafür bedarf es hinreichend konkreter Anhaltspunkte für eine Gefährdung der Funktionsfähigkeit der vertragsärztlichen Versorgung ohne die Anordnung der sofortigen Vollziehung.
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Mainz vom 12.9.2005 aufgehoben.
2. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 2.2.2005 wird angeordnet.
3. Der Antragsgegner trägt die Kosten beider Instanzen.
Tatbestand
Umstritten ist im Hauptsacheverfahren die Entziehung der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung. Der Antragsgegner wendet sich gegen die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen seinen Bescheid vom 2.2.2005.
Der 1950 geborene Antragsteller ist seit 1983 als Internist zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen und als Hausarzt tätig. Hinsichtlich seines Vermögens ist am 31.8.2004 gemäß §§ 21, 22 Insolvenzordnung (InsO) die vorläufige Verwaltung angeordnet worden.
Durch rechtskräftiges Urteil vom 10. Juni 2003 (Az 6014 Js 7308/00 4 KLs) wurde der Antragsteller vom Landgericht (LG) Kaiserslautern wegen unerlaubten Verschreibens von Betäubungsmitteln in 28 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Außerdem wurde ihm für die Dauer von drei Jahren untersagt, Zubereitungen von bestimmten näher genannten Betäubungsmitteln oder zur Substitution zugelassene Arzneimittel zu verschreiben, zu verabreichen, zum unmittelbaren Gebrauch zu überlassen oder abzugeben. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Nach den Feststellungen des LG hatte der Antragsteller in der Zeit von Dezember 1998 bis Mai 2000 Patienten das Arzneimittel Orlaam zur substitutionsgestützten Behandlung verschrieben. Das LG führte in seinem Urteil aus, der Kläger habe es in unentschuldbarer Weise versäumt, die zur sicheren Feststellung einer Opiatabhängigkeit erforderlichen Erhebungen und Untersuchungen vollständig durchzuführen und die bestimmungsgemäße Verwendung zu kontrollieren; zudem habe der Antragsteller die substitutionsgestützten Behandlungen pflichtwidrig nicht ausreichend dokumentiert.
Im Anschluss an das Strafverfahren beantragten die Beigeladenen zu 5, 6 und 7 beim zuständigen Zulassungsausschuss, dem Antragsteller die Zulassung zu entziehen. Der Zulassungsausschuss gab diesem Antrag mit Beschluss vom 16.6.2004 statt und führte zur Begründung aus: Der Antragsteller habe seine vertragsärztlichen Pflichten grob fahrlässig verletzt und sich dadurch als ungeeignet zur weiteren Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung erwiesen. Diese Ungeeignetheit ergebe sich vor allem aus den Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes, die zu der Verurteilung durch das LG Kaiserslautern geführt hätten. Durch sein Fehlverhalten habe er das Vertrauensverhältnis zur Beigeladenen zu 7 (der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung - KÄV -) und den Krankenkassen nachhaltig zerstört.
Mit seinem hiergegen eingelegten Widerspruch trug der Antragsteller ua vor: Zu seinen Gunsten seien sein Alter und seine lange Tätigkeit als Arzt zu berücksichtigen; eine Zulassungsentziehung würde dazu führen, dass ihm jegliche wirtschaftliche Existenz entzogen würde. Er müsse fünf unterhaltsberechtigte Kinder ernähren, die sich noch in Ausbildung befänden. Der Zulassungsausschuss habe verkannt, dass das LG Kaiserslautern von einem Berufsverbot deshalb abgesehen habe, weil Gründe dafür, dass bei ihm erhebliche Verfehlungen in der Zukunft zu erwarten seien, nicht ersichtlich seien.
Der Antragsgegner wies den Widerspruch durch Bescheid vom 2.2.2005 zurück und legte zur Begründung ua dar: Die Voraussetzungen für eine Entziehung der Zulassung zum Vertragsarzt gemäß § 95 Abs 6 Satz 1 des Fünften Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB V) seien erfüllt. Dem Antragsteller seien im Zusammenhang mit den von ihm vorgenommenen Substitutionsbehandlungen in mehrfacher Hinsicht gröbliche Verletzungen seiner Pflichten als Vertragsarzt vorzuwerfen. Er habe nicht über die erforderliche Genehmigung als Vertragsarzt für die Substitution verfügt und dennoch diese Behandlungen sogar gegenüber der Beigeladenen zu 7) abgerechnet. Der Antragsteller habe so gut wie keine der Voraussetzungen einer Substitutionsbehandlung in der vertragsärztlichen Versorgung erfüllt. Eine den Leitlinien entsprechende ausführliche diagnostische Abklärung habe in keinem einzigen Fall stattgefunden. So sei es zu erklären, dass zwei Patienten Substitutionsmittel verschrieben bekommen hätt...