Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Sachverständigenvergütung. notwendige besondere Kosten. Covid-19 Pandemie. zeitlich befristeter Vergütungsanspruch für einen erhöhten Hygieneaufwand. Kostenschätzung
Leitsatz (amtlich)
1. Sachverständige erhalten als Vergütung für erhöhten Hygieneaufwand aus Anlass der Covid-19 Pandemie zeitlich befristet einen dem 1-fachen Satz der Nr 245 GOÄ (juris: GOÄ 1982) entsprechenden Betrag nach § 12 Abs 1 S 2 Nr 1 JVEG.
2. Zusätzliche Hygienemaßnahmen, die ausschließlich durch die Covid-19 Pandemie bedingt sind, deren Eindämmung dienen und voraussichtlich wieder entfallen werden, begründen keinen neuen allgemeingültigen Hygienestandard und stellen deshalb keinen mit der Gutachtenerstattung üblicherweise verbundenen Aufwand iS des § 12 Abs 1 JVEG dar, sondern zählen zu den „notwendigen besonderen Kosten“ iS des § 12 Abs 1 S 2 Nr 1 JVEG.
3. Die Höhe notwendiger besonderer Kosten kann pauschaliert und geschätzt werden, wenn der Nachweis im Einzelfall unverhältnismäßig hohen Ermittlungsaufwand erfordern würde. Für die Schätzung der Kosten des erhöhten Hygieneaufwands kann Nr 245 GOÄ herangezogen werden.
Tenor
Die Entschädigung des Antragstellers für die Erstattung des Gutachtens vom 29.05.2020 wird auf 1.482,87 € festgesetzt.
Gründe
I.
Streitig ist die Vergütung eines Gutachtens nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG), wobei nur noch die Vergütung für den geltend gemachten erhöhten Hygieneaufwand in Höhe von 7,63 € brutto im Streit steht.
Der Antragsteller, der mit dem Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz einen Vertrag nach § 14 JVEG geschlossen hat, ist durch Beweisbeschluss des Senats vom 20.02.2020 zum Sachverständigen ernannt worden.
Für die Erstellung seines Gutachtens vom 29.05.2020 aufgrund einer ambulanten Untersuchung hat der Antragsteller mit Schreiben vom 29.05.2020 zunächst einen Betrag von 1.475,24 € geltend gemacht. Darin enthalten sind neben der Gutachtenpauschale laut Vertrag in Höhe von 1.150,00 €, Transportkosten in Höhe von 6,00 €, Schreibgebühren in Höhe von 23,40 € und Laborkosten in Höhe von 9,00 € sowie 51,30 €. Mit Schreiben vom 03.08.2020 wurde der geltend gemachte Betrag um die Kosten eines erhöhten Hygieneaufwands durch die Covid-19 Pandemie entsprechend Nr. 245 der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) um 6,41 € nebst darauf entfallender Umsatzsteuer (1,22 €) erhöht.
Die Kostenbeamtin des LSG zahlte den ursprünglich geltend gemachten Betrag aus (1.475,24 €). Für den geltend gemachten Hygienezuschlag sehe das JVEG keine Erstattung vor. Mit Schreiben vom 13.08.2020 beantragte der Antragsteller richterliche Festsetzung. Es treffe zu, dass das JVEG einen Hygieneaufschlag nicht vorsehe. Allerdings sehe das JVEG Ersatz für Aufwendungen vor, sofern sie notwendig seien und die üblichen Gemeinkosten überschritten (§§ 7, 12 Abs. 1 JVEG). Die Durchführung der Untersuchungen im Rahmen der Begutachtungen für die Sozialgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz könne derzeit nur durch erheblichen finanziellen und organisatorischen Aufwand geleistet werden. Von der Bundesärztekammer (BÄK) sei deshalb zeitlich befristet bis zum 30.09.2020 die analoge Abrechnung der Nr. 245 GOÄ vorgesehen.
In einer Stellungnahme des Antragsgegners vom 11.09.2020 vertrat dieser die Ansicht, das JVEG sehe zwar keine pauschalierte Vergütung vor, jedoch sei bei Bezifferung der angefallenen Kosten der über den üblichen Aufwand hinausgehende Betrag auf Antrag erstattungsfähig. Mit Schreiben vom 20.09.2020 legte der Antragsteller seinen durch die Pandemie bedingten Mehrbedarf an Hygieneartikeln dar. Er erklärte sich damit einverstanden, einen zusätzlichen Betrag in Höhe von 7,00 € netto zu akzeptieren. In einer weiteren Stellungnahme des Antragsgegners vom 15.10.2020 errechnete dieser unter Berücksichtigung der Darlegungen des Antragstellers zusätzliche pandemiebedingte Hygienekosten in Höhe von 6,30 € netto.
II.
Die Entscheidung über den Antrag ergeht durch den Senat, da die Einzelrichterin das Verfahren wegen grundsätzlicher Bedeutung dem Senat übertragen hat (§ 4 Abs. 7 S. 1 und 2 JVEG).
Der Antrag auf richterliche Festsetzung der Entschädigung ist nach § 4 Abs. 1 S. 1 JVEG zulässig und in der Sache begründet. Die dem Antragsteller zu gewährende Entschädigung ist auf 1.482,87 € festzusetzen.
Die Entscheidung der Kostenbeamtin war entsprechend abzuändern. Die anteilige Vergütung für den erhöhten Hygieneaufwand war hierbei antragsgemäß auf 6,41 € netto (zzgl. Umsatzsteuer von 1,22 €) festzusetzen.
Anspruchsgrundlage für den Vergütungsanspruch des Antragstellers ist neben dem JVEG die zwischen dem Land Rheinland-Pfalz und dem Sachverständigen nach § 14 JVEG getroffene Vereinbarung über die Entschädigung von Sachverständigenleistungen. Die Vereinbarung vom 22.09.2015 in der vorliegend einschlägigen Fassung vom 16.07.2019, die alle bisherigen Vereinbarungen ersetzt (Ziffer XII der Vereinbarung), gilt für alle ab dem 01.05.2019 in Auftrag gegebenen Gutachten (Ziffer IX der Vereinba...