Entscheidungsstichwort (Thema)
Antrag auf Vorabentscheidung durch den EuGH. Diskriminierungsverbot. Höhe des Insolvenzgeldanspruchs eines in Deutschland nicht einkommensteuerpflichtigen Grenzgängers. fiktiver Lohnsteuerabzug. Schutz des Arbeitnehmers bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers. Bruttorestlohnanspruch
Orientierungssatz
Das Verfahren wird gemäß Art 267 AEUV (ex-Art 234 EGV) dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zur Vorabentscheidung über folgende Fragen vorgelegt:
1. Ist es mit den Regelungen des primären und/oder sekundären Rechts der Europäischen Union (insbesondere Art 45 AEUV (ex-Art 39 EGV) und Art 7 VO (EU) Nr 492/2011) (juris: EGV 492/2011) vereinbar, dass bei einem zunächst in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer, der in einem anderen Mitgliedstaat wohnt, der im Inland nicht einkommensteuerpflichtig ist und bei dem Insolvenzgeld nach den für ihn maßgebenden Vorschriften nicht der Steuer unterliegt, im Falle der Insolvenz seines Arbeitgebers von dem für die Berechnung des ihm zustehenden Insolvenzgeldes maßgeblichen Arbeitsentgelt fiktiv die Steuern erhoben werden, die bei einer Einkommensteuerpflicht im Inland durch Abzug vom Arbeitsentgelt erhoben würden, wenn er den Bruttorestlohnanspruch nicht mehr gegen den Arbeitgeber geltend machen kann?
2. Falls Frage 1 verneint wird, liegt eine Vereinbarkeit mit den Regelungen des primären und/oder sekundären Rechts der Europäischen Union vor, wenn der Arbeitnehmer in der genannten Konstellation den Bruttorestlohnanspruch weiterhin gegen seinen Arbeitgeber geltend machen kann?
Tenor
I. Das Verfahren wird gemäß Art 267 AEUV (ex-Art 234 EGV) dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zur Vorabentscheidung über folgende Fragen vorgelegt:
1. Ist es mit den Regelungen des primären und/oder sekundären Rechts der Europäischen Union (insbesondere Art 45 AEUV (ex-Art 39 EGV) und Art 7 VO (EU) Nr 492/2011) vereinbar, dass bei einem zunächst in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer, der in einem anderen Mitglied-staat wohnt, der im Inland nicht einkommensteuerpflichtig ist und bei dem Insolvenzgeld nach den für ihn maßgebenden Vorschriften nicht der Steuer unterliegt, im Falle der Insolvenz seines Arbeitgebers von dem für die Berechnung des ihm zustehenden Insolvenzgeldes maßgeblichen Arbeitsentgelt fiktiv die Steuern erhoben werden, die bei einer Einkommensteuerpflicht im Inland durch Abzug vom Arbeitsentgelt erhoben würden, wenn er den Bruttorestlohnanspruch nicht mehr gegen den Arbeitgeber geltend machen kann?
2. Falls Frage 1 verneint wird, liegt eine Vereinbarkeit mit den Regelungen des primären und/oder sekundären Rechts der Europäischen Union vor, wenn der Arbeitnehmer in der genannten Konstellation den Bruttorestlohnanspruch weiterhin gegen seinen Arbeitgeber geltend machen kann?
II. Das Verfahren wird bis zu Entscheidung des EuGH analog § 114 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ausgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger begehrt höheres Insolvenzgeld (Insg) im Zeitraum vom 01.04.2012 bis zum 28.06.2012.
Der 1956 geborene Kläger ist französischer Staatsangehöriger und wohnt in R in F. Die Gemeinde liegt zumindest teilweise weniger als 20km von der deutschen Grenze entfernt. Seit 1996 war er bei der Firma P in P als Fahrer beschäftigt. Nach der Bescheinigung des Chefs des Centre des Impôts vom 31.10.1996 erfüllte er durch die Beschäftigung die Eigenschaft eines Grenzgängers.
Am 29.06.2012 wurde über das Vermögen des Arbeitgebers des Klägers das Insolvenzverfahren eröffnet. Löhne und Gehälter waren bis März 2012 vollständig gezahlt worden. Vom vorläufigen Insolvenzverwalter wurde dem Kläger für den Zeitraum vom 01.04.2012 bis zum 28.06.2012 im Wege der Vorfinanzierung Arbeitsentgelt in Höhe von (iHv) 3.550,24 € gezahlt. Nach der Insg-Bescheinigung des Insolvenzverwalters Dr. F vom 16.07.2012 standen dem Kläger für den genannten Zeitraum insgesamt 5.571,88 € zu (April 1.929,44 €; Mai 1.878,74 €; Juni 1.763,70 €). Hierauf entfielen Sozialversicherungsbeiträge iHv 1.094,57 € (April 379,11 €; Mai 371,23 €; Juni 344,23 €). Für den Monat April erhielt der Kläger zusätzlich einen Vorschuss iHv 36,90 € als Spesenabrechnung, der im Betrag von 5.571,88 € bereits enthalten war.
Am 13.07.2012 stellte der Kläger einen Antrag auf Insg. Durch Bescheid vom 18.07.2012 wurde ihm Insg iHv insgesamt 356,77 € gewährt. Ausgehend vom Bruttoarbeitsentgelt hatte die Beklagte die Sozialversicherungsbeiträge, den im April 2012 gewährten Vorschuss sowie die Vorfinanzierung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter und einen fiktiven Lohnsteuerabzug nach deutschem Recht (April 185,00 €; Mai 175,00 €; Juni 173,00 €) abgezogen und so den Anspruch iHv 356,77 € errechnet. In einem gegen den Bescheid eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, der Abzug der fiktiven Lohnsteuer sei europarechts-widrig, da für ihn keine Steuerpflicht in Deutschland bestehe. Er verwies auf Entscheidungen des EuGH in Sachen C-400/02 (Merida) sowie C-172/11 (Erny). Durch Widerspruchsbescheid vom 18.09.2012 wies d...