Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Voraussetzungen für Implantatversorgung
Orientierungssatz
Bei der Versorgung mit Implantaten durch die gesetzliche Krankenversicherung kommt es nicht allein auf die medizinische Indikation an. Vielmehr müssen konkrete, eng begrenzte Ausnahmeindikationen vorliegen, deren Voraussetzungen nicht erweiternd ausgelegt und angewandt werden dürfen.
Normenkette
SGB V § 27 Abs. 2 Nr. 2, § 11 Abs. 1 Nr. 4, § 28 Abs. 2 S. 9, § 92 Abs. 1
Nachgehend
Tenor
1. Speyer vom 23.2.2011 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Umstritten ist ein Anspruch auf Versorgung mit implantologischen Leistungen.
Bei dem 1989 geborenen Kläger, bei der Beklagten krankenversichert, sind im Oberkiefer lediglich sechs bleibende Zähne (Zähne 11, 12, 16, 21, 22, 26) und im Unterkiefer nur vier bleibende Zähne (33, 36/37, 43, 47) angelegt; außerdem sind noch verschiedene Milchzähne vorhanden. Der Kläger ist bislang nicht zahnprothetisch versorgt.
Der Kläger beantragte Anfang 2007 unter Vorlage eines Behandlungsplans und einer Bescheinigung des Prof Dr Dr S (Klinik für Mund-, Kiefer- Gesichtschirurgie des Universitätsklinikums H) die Versorgung mit einem auf Implantate gestützten Zahnersatz (Suprakonstruktion) im Ober- und Unterkiefer. Die Beklagte lehnte diesen Antrag durch Bescheid vom 21.3.2007 und Widerspruchsbescheid vom 14.6.2007 wegen der Möglichkeit einer konventionellen prothetischen Versorgung ab. Das Sozialgericht (SG) Speyer holte im Rahmen des anschließenden Gerichtsverfahrens (S 7 KR 272/07) einen Befundbericht des Prof Dr P (Klinik für zahnärztliche Prothetik und Werkzeugkunde der Universität H) vom Dezember 2007 ein. Dieser führte aus, die Versorgung mit konventionellem festsitzendem Zahnersatz sei aufgrund der reduzierten Pfeilerzahl nicht möglich; eine Versorgung mit einem konventionellen herausnehmbaren Zahnersatz sei ohne Beschleifen der vorhandenen Zähne aufgrund fehlender Unterschnitte der Pfeilerzähne ausgeschlossen; die Präparation der Pfeilerzähne zur Aufnahme von Kronen oder Teleskopkronen sei medizinisch nicht vertretbar. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem SG schlossen die Beteiligten am 29.2.2008 einen Vergleich, worin sich die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides verpflichtete, erneut über den Antrag des Klägers zu entscheiden und insbesondere eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes (MDK) einzuholen.
Die Zahnärztin Dr B vom MDK führte in ihrer Stellungnahme nach Aktenlage vom April 2008 aus, beim Kläger sei eine konventionelle prothetische Versorgung nicht ausgeschlossen; die geplante Versorgung mit einem rein implantatgestützten Zahnersatz übersteige bei Weitem das Maß des Notwendigen. Dieser Auffassung schloss sich der Zahnarzt Dr S vom MDK in einer Stellungnahme vom Juli 2008 an. Durch Bescheid vom 14.7.2008 und Widerspruchsbescheid vom 2.9.2008 lehnte die Beklagte daraufhin eine Kostenübernahme bzw -beteiligung an der beantragten Versorgung ab, weil eine konventionelle Versorgung ohne Implantate möglich sei.
Mit seiner am 8.9.2008 erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Das SG hat einen Befundbericht von Prof Dr L/Dr V (Kliniken für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde der Universität H) vom Mai 2009 und von Amts wegen ein Gutachten des Zahnarztes Dr K (Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde des Klinikums der Universität F) vom November 2009 eingeholt. Letzterer hat ausgeführt: Als konventionelle Lösung ohne Implantate käme grundsätzlich eine kombiniert festsitzend-herausnehmbare Lösung mittels Doppelkronen in Betracht. Beim Kläger habe diese Lösung aber keine Aussicht auf einen langfristigen Erfolg und sei daher abzulehnen. Ein ausreichender Platzbedarf für Doppelkronen in beiden Kiefern könne nur durch eine Erhöhung der Vertikaldimension geschaffen werden. Die persönliche Untersuchung des Klägers zeige aber, dass eine solche Erhöhung wegen des ohnehin schon verlängerten unteren Gesichtsdrittels, des momentan regelgerecht eingestellten Sprechabstandes und der derzeit richtigen Ruhelage des Unterkiefers kontraindiziert sei. Die klinischen Kronen der vorhandenen und für Doppelkronen nutzbaren Pfeilerzähne seien ausgesprochen niedrig, sodass es an einer ausreichenden Retention der Primärkronen mangele. Im Hinblick auf das Alter des Patienten seien bei konventioneller Versorgung erhebliche Folgeprobleme zu erwarten. Die begehrte Versorgung mit der Insertion von insgesamt 11 Implantaten sei nicht zwingend erforderlich. Im Oberkiefer reichten vier Implantate und im Unterkiefer vier bis sechs Implantate aus. Man könne daher mit 8 bis 10 Implantaten auskommen, wobei aber 10 Implantate zu bevorzugen seien, um eine rein zahngetragene Brücke in der Unterkieferfront zu vermeiden. Die Folgekosten bei einer konventionellen Versorgung wären zukunftsbetrachtet weitaus höher...