Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziale Pflegeversicherung. Wohngruppenzuschlag. keine Einschränkung der freien Wählbarkeit der Pflege- und Betreuungsleistungen. personelle und gesellschaftsrechtliche Verbindungen. Nichtentgegenstehen heimrechtlicher Vorschriften. "ambulant betreute Wohngruppen" iS des § 38a SGB 11 sind nicht nur solche, die die Anforderungen des § 6 WTG RP 2009 an "selbstorganisierte Wohngemeinschaften" erfüllen
Leitsatz (amtlich)
1. Eine tatsächliche Einschränkung der freien Wählbarkeit der Pflege- und Betreuungsleistungen, die nach § 38a Abs 2 SGB XI in der bis zum 31.12.2014 geltenden Fassung einen Anspruch auf einen Wohngruppenzuschlag ausschließt, liegt nicht ohne weiteres wegen personeller und gesellschaftsrechtlicher Verbindungen zwischen dem Vermieter und der Präsenzkraft bzw dem Pflegedienst vor.
2. Dass der Pflegebedürftige nicht in einer selbstorganisierten Wohngruppe im Sinne des § 6 des rheinland-pfälzischen Landesgesetz über Wohnformen und Teilhabe lebt, schließt einen Anspruch nach § 38a SGB XI nicht aus.
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 21.4.2015 sowie der Bescheid der Beklagten vom 20.8.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3.4.2014 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ab dem 27.6.2013 einen Wohngruppenzuschlag nach § 38a SGB XI zu gewähren.
2. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Umstritten ist ein Anspruch auf einen Wohngruppenzuschlag nach § 38a Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI).
Die Klägerin, bei der Beklagten pflegeversichert, erhält von dieser seit September 2011 Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe II und seit April 2014 nach der Pflegestufe I. Sie lebt seit dem 15.9.2012 im Haus S… in W… , einer Wohngemeinschaft für demenziell Erkrankte. Träger der Einrichtung Wohngemeinschaft S… ist der Caritasverband W… eV. In dem Haus gibt es zwei separate Wohngruppen mit jeweils 11 Bewohnern.
Die Klägerin schloss mit der C… Caritas Dienstleistungs- und Serviceunternehmen W… GmbH, einer Tochtergesellschaft des Caritasverbandes W… eV, einen Mietvertrag über einen Wohnraum mit einer Wohnfläche von 37,68 qm (davon 23,09 qm Allgemeinfläche zur gemeinsamen Nutzung, 14,59 qm persönliche Wohnfläche). Die Bruttowarmmiete beträgt monatlich 367,27 €. In § 18 Abs 1 dieses Vertrages heißt es:
(I) Mit dem Abschluss dieses Mietvertrages ist der Mieter als Mitglied der Mietergemeinschaft im Haus (K…str …, … W…) berechtigt, darüber zu entscheiden, wer die persönlichen Dienstleistungen
Pflege
hauswirtschaftliche Leistungen
Mahlzeitenversorgung
sonstige hauswirtschaftliche Leistungen
persönliche Beratung und Unterstützung
soziale Betreuung und ständige Personalpräsenz
jeweils für die Mieter erbringt. Das Nähere über die Rechte und Pflichten beim Empfang der persönlichen Dienstleistungen ergibt sich aus dem entsprechenden Vertrag mit dem jeweiligen Leistungserbringer der persönlichen Dienstleistungen.
(2) Im ersten Quartal eines Kalenderjahres wählt die Mietergemeinschaft jährlich jeweils für 2 Jahre eine Sprecherin oder einen Sprecher und eine stellvertretende Sprecherin oder Sprecher, die die Interessen der Mieter im Bereich der persönlichen Dienstleistungen Dritter vertreten.
(3) Zur Herbeiführung einer Entscheidung über die Erbringung der persönlichen Leistungen lädt der Sprecher oder im Fall der Verhinderung der stellvertretende Sprecher der Mietergemeinschaft im 1. Quartal eines Kalenderjahres die Mietergemeinschaft schriftlich zu einer Versammlung ein. Beschlüsse der Mietergemeinschaft werden mit einfacher Mehrheit gefasst.
(4) Die Versammlung ist beschlussfähig, wenn die Hälfte der Mieter der Mietergemeinschaft anwesend ist oder durch schriftlich bevollmächtigte Personen vertreten wird. Wenn die Versammlung nicht beschlussfähig ist, beruft der Sprecher innerhalb von vier Wochen eine neue Versammlung schriftlich ein, die ohne Rücksicht auf die Beschlussfähigkeit beschlussfähig ist. Hierauf ist in der schriftlichen Einladung hinzuwirken.
(5) Hat die Mietergemeinschaft eine Auswahl-Entscheidung über die Anbieter der persönlichen Dienstleistung getroffen, wird der Mieter von seiner Verpflichtung, die vereinbarte Vergütung zu zahlen, nicht frei, wenn er die Dienstleistungen abweichend von der Auswahlentscheidung von anderen Leistungserbringern entgegen nimmt. Die Mietergemeinschaft kann den Sprecher durch Beschluss bevollmächtigen, die Verträge mit den Leistungserbringern im Namen und mit Vollmacht der Mieter abzuschließen, nachdem sie darüber mehrheitlich abgestimmt haben.
Die Klägerin schloss außerdem mit dem Caritasverband W… eV einen Betreuungsvertrag vom 15.9.2012 über benötigte Hilfeleistungen. Darin heißt es ua:
§ 1 Vertragsgegenstand
Dieser Vertrag regelt im Rahmen des Wohnens in der Hausgemeinschaft St Nikolaus in Worms die Erbringung der im Alltag benötigten Hilfestellungen des Auftraggeb...